Im Frühjahr hatte der Sachverständigenrat für Gesundheit (SVR) die Hausarztzentrierte Versorgung, kurz HzV, als positives Beispiel gelobt, wie die ambulanten Versorgungsstrukturen in ihrer Funktion verbessert und ihre Qualität und Effizienz gesteigert werden könne.

Das Hausarztprinzip werde durch die HzV jedenfalls gestärkt. Und auch eine aktuelle Evaluation von 15 Jahren Hausarztvertrag in Baden-Württemberg bescheinigt nun der HzV eine klare Erfolgsbilanz.

Als am 8. Mai 2008 der bundesweit erste HzV-Vertrag mit der AOK in Baden-Württemberg unterzeichnet wurde, ahnte wohl noch keiner der Beteiligten, dass dieser Vertrag sich zu einem Erfolgsmodell entwickeln würde, das ziemlich genau dem entspricht, was der SVR in seinem Gutachten für eine gute hausärztliche Versorgung vorschlägt. Bestenfalls hatte man das wohl gehofft. Inzwischen betreuen bei der HzV in Baden-Württemberg 5.400 Ärzt:innen fast 1,8 Millionen AOK-Versicherte. Der Hausarztvertrag im Ländle diente auch als Blaupause für ähnliche Verträge in anderen Bundesländern. Bundesweit nehmen derzeit 6,1 Millionen Versicherte an der HzV teil.

Die Patient:innen profitieren

15 Jahre später liegt nun eine erneute Evaluation vor, die die Erfolge der Hausarztzentrierten Versorgung in Baden-Württemberg noch einmal bestätigt und detailliert auflistet. Die Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität Frankfurt (Main) und des Universitätsklinikums Heidelberg kommen darin jedenfalls zu dem Ergebnis, dass die HzV der AOK Baden-Württemberg für Patient:innen klare Vorteile im Vergleich zur Regelversorgung (RV) aufweise.

Besonders Menschen mit chronischen Erkrankungen würden von der HzV profitieren, erläutert Prof. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main, die aktuellen Evaluationsergebnisse. So sehe man zum Beispiel bei Diabetiker:innen signifikant weniger schwerwiegende Komplikationen und sogar eine längere Lebenserwartung. Mitverantwortlich dafür sei sehr wahrscheinlich die um rund 20 % höhere Teilnahme an Disease-Management-Programmen (DMP), die in der HzV gezielt angereizt werde. Die Versorgung werde so strukturierter und kontinuierlicher, was bei chronischen Krankheiten besonders wichtig sei. Hinzu kämen sich gegenseitig verstärkende Steuerungsmaßnahmen, wie etwa die in der HzV etablierten Qualitätszirkel zur leitliniengerechten Pharmakotherapie oder die in der HzV gestärkte Rolle der Hausärzt:innen als Lots:innen durch die Versorgungslandschaft.

HzV bietet höhere Qualität

Laut Gerlach sei außerdem bemerkenswert, dass sich die Qualitätsschere zwischen HzV und Regelversorgung (RV) von Jahr zu Jahr mehr zugunsten der HzV öffne. So seien in der aktuellen Evaluation bei 422.000 älteren Versicherten (ab 65 Jahre) in der HzV-Gruppe im Vergleich zur RV beeindruckende Ergebnisse erzielt worden. Die Hochrechnungen zeigten im ersten Pandemiejahr 2020 über 35.000 Influenza-Impfungen mehr, rund 6.500 weniger Verordnungen potenziell inadäquater Medikamente und circa 195 vermiedene Krankenhausaufenthalte wegen Hüftgelenksfrakturen.

Untermauert wird die positive Sicht auf die HzV auch durch Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, langjähriger Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg: "HzV-Patienten erhalten nachweislich eine intensivere und besser koordinierte Versorgung bei dauerhaft höherer Versorgungskontinuität." Und: HzV-Praxen mit einer Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) würden sogar noch besser abschneiden.

In der HzV habe man sich seit Beginn besonders darauf fokussiert, dass das ganze Team in die Versorgung einbezogen wird. Inzwischen entlasten mehr als 2.300 VERAH die Ärzt:innen. Ein weiterer Punkt, der untersucht wurde, ist die Versorgung durch immer mehr angestellte Ärzt:innen. Zum Start der HzV im Jahr 2008 gab es im ambulanten Bereich rund 12.500 angestellte Ärzt:innen. Mittlerweile habe sich deren Zahl vervierfacht. Aus diesem Grund sei man auch der Frage nachgegangen, ob und wie sich die Versorgungsqualität zwischen HzV-Praxen mit und ohne Angestellte unterscheidet, so Szecsenyi. Die Analyse habe ergeben, dass Patient:innen in HzV-Praxen mit angestellten Ärzt:innen genauso gut versorgt werden wie in HzV-Praxen ohne angestellte Ärzt:innen.

Hausarztpraxis bleibt zentraler Ort der Versorgung

Von den Vorteilen der HzV seien auch viele eingeschriebene Versicherte überzeugt, so der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind: Bei den teilnehmenden Versicherten komme die HzV gut an. Die koordinierte Versorgung durch die Hausärzt:in sei für 9 von 10 Versicherten der wichtigste Teilnahmegrund. Regelmäßige Befragungen hätten ergeben, dass rund 90 % der Teilnehmenden die HzV weiterempfehlen und mehr als 90 % sehr zufrieden mit dem Versorgungsangebot sind. Für die AOK nicht unwichtig sei dabei, dass die jährlichen Kosten pro Patient:in um rund 40 Euro niedriger liegen als bei einem vergleichbaren Versicherten in der Regelversorgung, so Bauernfeind.

Für Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, zeige die Evaluation, dass der Hausärzteverband mit seiner HzV-Strategie auf dem richtigen Weg ist. Die Hausarztpraxis müsse der zentrale Ort der Versorgung bleiben. Dabei setze man auch intensiv auf die Ausweitung von Delegation. Im Kernteam einer Teampraxis sollen dann neben Hausärzt:innen, MFA und VERAH noch weitere akademisierte nichtärztliche Gesundheitsfachberufe vertreten sein. Derart erweiterte HzV-Praxen seien leistungsstärker, flexibler und attraktiver für Mitarbeitende. Und sie können deutlich mehr Patient:innen betreuen. Das sei ein eminent wichtiger Beitrag, um auch zukünftig landesweit eine hochwertige Primärversorgung anbieten zu können, so
Buhlinger-Göpfarth.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (8) Seite 22-23