Wer seinen Fernseher anschaltet, wird von Werbung für rezeptfreie Medikamente oder Medizinprodukte förmlich überrollt. Kein Wunder, dass sich insbesondere OTC-Präparate wachsender Beliebtheit erfreuen. Das ist nun auch im Rahmen einer explorativen Wartezimmerbefragung des Zentrums für Allgemeinmedizin in Mainz, an der 300 Patient:innen in 20 hausärztlichen Praxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland teilgenommen haben, nachhaltig bestätigt worden.

Die beiden zentralen Ergebnisse sind ernüchternd:

  • 63 % der Befragten geben an, rezeptfreie Medikamente häufig oder gelegentlich zu konsumieren. Das sind deutlich mehr als in früheren Untersuchungen (knapp 50 %).
  • 55 % der Befragten ließen sich zuvor durch die Hausärzt:in und/oder Apotheker:in beraten. Das heißt aber auch, dass 45 % vor der Einnahme von OTC-Präparaten gänzlich auf fachkompetente Beratung verzichten.

OTC-Präparate werden oft falsch eingeschätzt

Gefahrenpotenziale von OTC-Medikamenten werden von Patient:innen zum Teil stark unterschätzt, haben die Mainzer Wissenschaftler:innen herausgefunden. 70 % glauben ohnehin, dass diese Arzneien lediglich schwach wirksam sind. Männer gehen mit diesen Präparaten besonders leichtfertig um. Dabei birgt eine Selbstmedikation – etwa in Bezug auf Wechselwirkungen – nicht zu unterschätzende Risiken, wie viele Hausärzt:innen schon leidvoll erleben mussten. Diese Gefahr besteht besonders bei multimorbiden Patient:innen, die bereits eine gut dosierte Schmerzmedikation auf Rezept erhalten und trotzdem ohne Wissen der Ärzt:in weitere rezeptfreie Schmerzmittel einnehmen. Hier stehen die Hausärzt:innen vor einem Dilemma. Doch was können sie tun?

Medikamentencocktails überprüfen

Mehr denn je sollte es heute obligatorisch sein, regelmäßig den Gebrauch rezeptfreier Arzneimittel bei den Patient:innen abzufragen oder – noch besser – gleich deren gesamten Medikamentencocktail zu überprüfen, um ein komplettes Bild über die Multimedikation zu erhalten. Das kann natürlich auch eine entsprechend fortgebildete MFA oder eine VERAH© gut leisten. Zum Beispiel auch bei Hausbesuchen, bei denen häufig erst das ganze Dilemma offenkundig wird, das mit der zusätzlichen Einnahme rezeptfreier Medikamente mitunter angerichtet wird. Wer diese Kontrollen wann und wo auch immer macht, ist nicht so entscheidend – Hauptsache, sie werden gemacht. In der Hektik des Praxisalltags und eklatantem Fachkräftemangel fällt dies allerdings – notgedrungen – allzu oft unter den Tisch.

Doch dieser Aufwand lohnt sich, weil ansonsten die Medikationsstrategie jeder Hausärzt:in ins Wanken gerät. Jeder Euro mehr, der für solche Medikamenten-Checks zusätzlich verausgabt wird, zahlt sich aus, z. B. auch fürs Honorar. Denn eines steht fest: Die Werbetrommel für OTC-Arzneien wird weiter kräftig gerührt werden. Denn dafür ist der Markt einfach viel zu lukrativ,


...fürchtet Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (3) Seite 30