Da hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen wahren Kalauer gelandet: Er sei überzeugt, so sagte er kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung kirchlicher Krankenhausträger, dass die engere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung prioritäres Thema der nächsten Koalitionsverhandlungen sein müsse.

Wie bitte? 16 Jahre lang hatten unterschiedliche Koalitionen stets unter der Federführung seiner Partei die Chance gehabt, an der Überwindung der Sektorengrenzen zu arbeiten. Doch entweder sind entsprechende Ansätze gescheitert oder nicht ernsthaft genug vorangetrieben worden, wie etwa die Selektivverträge. Dort konnten manche Schranken zwischen ambulanter und stationärer Medizin und zwischen Haus- und Fachärzt:innen geöffnet werden. Doch auch diesen Prozess hat die Politik immer wieder blockiert, sodass sich die Selektivverträge bundesweit nicht durchsetzen konnten.

Regionale Versorgungsstrukturen etablieren

Folglich gibt es weiterhin viel zu wenige Abstimmungsprozesse zwischen Allgemein- und Fachärzt:innen sowie Kliniker:innen, was immer noch dazu führt, dass die gleichen Untersuchungen dreimal hintereinander erfolgen und abgerechnet werden. Aus dem unzureichenden Informationstransfer über die Sektoren hinweg folgen Informationsbrüche und Qualitätseinbußen.

Das will nun der AOK-Bundesverband in Kooperation mit drei Klinikverbünden ändern. Unter dem Motto "Versorgung ermöglichen" sollen künftig Vertragsärzt:innen die ambulante Versorgung gemeinsam mit Kliniken, Pflegeeinrichtungen und weiteren Leistungserbringern gestalten. Und zwar für vorab definierte Zeiträume auf der Grundlage der Morbidität und der Einwohnerzahl einer Region. Neue sektorübergreifende Gremien sollen mit einer unparteiischen Vorsitzenden regional sinnvolle Versorgungsstrukturen – wie etwa die Umwandlung nicht mehr benötigter Krankenhäuser in ambulante Gesundheitszentren – etablieren, in denen die interprofessionelle und digital gestützte Zusammenarbeit auch unter Einbezug lokaler selektivvertraglicher Modelle erfolgen soll.

Politischer Neustart vonnöten

Klingt richtig gut, hat aber zwei entscheidende Haken. Welches regionale Gremium wird sich schon freiwillig dafür aussprechen, ein regionales Krankenhaus zur Disposition zu stellen? Und wie seriös kann ein solch neuer Versorgungansatz sein, in dem unter anderem solche Krankenhausträger wie die Helios Kliniken mitmischen, die selbst in ihren eigenen Häusern Mauern errichten, an denen Ärzt:innen abprallen, Patient:innen leiden und Gelder erst mal in die eigenen Sektoren abfließen. Diese partiellen Ansätze können also auch nicht die Lösung sein. Da aber in den vergangenen 16 Jahren sämtliche Gesundheitsminister nicht an diesen starren Sektorenmauern rütteln wollten, ist nun ein vollständiger politischer Neustart vonnöten. Am besten wäre es, wenn dabei künftig Politiker:innen zum Zuge kämen, die hier keine verbrannte Erde hinterlassen haben...


...meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 36