Was ist im Alter beim Thema Diabetestraining noch wirklich wichtig? Vor mehr als zehn Jahren wurde mit der Entwicklung und Verbreitung der Strukturierten Geriatrischen Schulung (SGS) Neuland betreten. Erstmalig konnten ältere Menschen mit Diabetes zum Thema "Gesund und fit älter werden mit Diabetes" zielgruppengerecht sowie inhaltlich und didaktisch adaptiert geschult werden. Materialien und Inhalte sind allerdings in die Jahre gekommen und wurden deshalb 2018 optisch und didaktisch neu aufgelegt.

Im Erwachsenenalter an Diabetes zu erkranken, bedeutet für den Patienten, sich auf eine Vielzahl neuer Wissensbereiche einzustellen. Plötzlich wird Wissen zur richtigen Ernährung, zur Bedeutung und Durchführung von Bewegungstherapie, aber auch über Blutdruck oder Blutfette wichtig. Dieses Wissen sollte so vermittelt werden, dass es für den Betroffenen verständlich ist und dazu beiträgt, am Selbstmanagement der Erkrankung mitzuwirken.

Das fällt bereits im Erwachsenenalter vielen Menschen nicht gerade leicht; es gibt deshalb eine Vielfalt an differenzierten Schulungsprogrammen, die sich natürlich auch abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung (Typ 1, Typ 2, besondere Situationen…) vor allem inhaltlich stark unterscheiden. Didaktisch ist heute für alle Programme gültig, dass es nicht primär um Frontalunterricht und schulische Wissensvermittlung gehen darf. Stattdessen wird der Patient abgeholt, mit ins Boot genommen und ermutigt, an seiner eigenen Behandlung und Gesundheit selbst entsprechend positiv mitzuwirken.

Ein Thema, welches in den üblichen Schulungsprogrammen bisher nicht zu sehr im Fokus steht, ist der physiologische Prozess des Älterwerdens, aber auch die mit dem Älterwerden verbundenen Problembereiche. Menschen mit Diabetes haben ein höheres Risiko, im Alter Funktionsstörungen wie Einschränkung der Hirnleistung, der Kontinenz oder der Gehfähigkeit zu erleiden. Auch ist die Assoziation des Typ-2-Diabetes zum Lebensalter natürlich mit Schuld daran, dass auch eine beträchtliche Anzahl an Menschen jenseits der 65 Jahre neu einen Diabetes diagnostiziert bekommen und die Schulung dann auch erstmalig im höheren Lebensalter durchgeführt werden soll.

Vorgehensweisen und Ziele

Während in üblichen Schulungsprogrammen die Ziele in Richtung Verbesserung des Gesundheitszustandes, Verringerung von Folge- und Begleiterkrankungen und letztlich auch Verlängerung des Lebens gehen, treten bei älteren, vor allem sehr alten Patienten eher die direkt spürbaren Verbesserungen von Lebensqualität und Lebenssituation in den Vordergrund. Hierauf wurde bereits das ursprüngliche Konzept der SGS ausgerichtet, die seit 2007 als Handbuch mit Trainerleitfaden sowie als Flipchart erhältlich war und sich in Deutschland seither sehr gut verbreitet hat. Inzwischen sind die Materialien etwas angestaubt und durch neue Entwicklungen und Erkenntnisse haben sich auch inhaltlich Erweiterungen des Konzepts ergeben.

Gleich geblieben ist der Anspruch, nicht frontale Wissensvermittlung zu betreiben, sondern in einem moderierten Gespräch auf Augenhöhe in der Schulungsgruppe Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln und gleichzeitig für hohe Motivation zu sorgen.

Was ist neu an der neuen SGS?

Vor zwei Jahren wurde durch die Arbeitsgruppe Diabetes und Migranten der Deutschen Diabetes Gesellschaft festgestellt, dass sich die SGS auch sehr gut zur Schulung von Menschen mit Migrationshintergrund mit geringen Gesundheitskenntnissen eignet. Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft wurden eine kultursensible Übertragung und auch eine Übersetzung auf Türkisch vorgenommen und neue Fotos erstellt. Zu Übersetzung und Neugestaltung hat das Unternehmen Berlin-Chemie maßgeblich beigetragen.

Durch jeweils muttersprachliche Übersetzung und Beratung bei der Erstellung der Materialien ist es gelungen, nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Russisch, Türkisch und Hocharabisch ein modernes Konzept in modernem Layout zu erstellen. Da die Inhalte so aufbereitet sind, dass sie auch für Menschen mit geringem wissenschaftlichen Vorbildungsgrad beziehungsweise geringer Gesundheitskompetenz (oft bei älteren Migranten der Fall) geeignet sind, beziehungsweise insgesamt auch bei abnehmender Lern- und Gedächtnisleistung (vor allem bei betagten Patienten der Fall) eingesetzt werden können, findet die SGS inzwischen sehr breite Einsatzmöglichkeiten.

In verschiedenen KV-Gebieten abrechenbar

SGS wurde sukzessive auch in verschiedenen KV-Regionen in das Disease-Management-Programm Typ-2-Diabetes aufgenommen. Abrechenbar ist das Programm derzeit in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Westfalen-Lippe.

Um die Verbreitung zu fördern, finden erneut Train-the-Trainer-Seminare statt. Diese werden organisiert durch das Forschungsinstitut an der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) mit Unterstützung von Berlin-Chemie. Die Teilnahme an einem solchen Seminar befähigt die Trainer, in weiteren kleineren Veranstaltungen Kleingruppen aus Schulungspraxen im korrekten Umgang mit den verschiedenen SGS-Schulungen vertraut zu machen. Natürlich wird darüber hinausgehend auch viel Grundlegendes zu den Veränderungen im Alter vermittelt, damit die Schulenden auch eine Basis zum Thema "Was ist Geriatrie?" erhalten. Ältere Menschen sind keine großen Erwachsenen, um einen Satz der Pädiater aufzugreifen. Und nur mit Verständnis und Empathie kann Empowerment für diese besondere Patientengruppe vermittelt werden.

Die SGS-Handbücher können Sie online bestellen im Kircheim-Shop.



Autoren:
Internist, Geriater, Diabetologe

Irene Feucht
Diabetesberaterin
medius Klinik Ostfildern-Ruit

Interessenkonflikte: Die Autoren dieses Beitrags sind auch die Autoren der SGS-Handbücher



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (17) Seite 39-40