Den bürokratischen Aufwand in den Praxen einzudämmen, hat sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schon seit Langem zum Ziel gesetzt. Bisher hielt sich der Erfolg aber in engen Grenzen, wie die Körperschaft in ihren jährlichen Bürokratieindices (BIX) selbst beklagte. Von der fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens erhoffte man sich da Fortschritte. Aber die sind erst einmal nicht in Sicht – im Gegenteil.

Im Gegensatz zu vorangegangenen BIX-Studien stand dieses Mal nicht die Gesamtbetrachtung der Bürokratiebelastung in der vertragsärztlichen Versorgung im Fokus. Mit der Umstellung auf das elektronische Verfahren bei der Ausstellung und Übermittlung der Arbeitsunfähigkeit (AU) konzentrierte sich die Untersuchung auf einen aktuell für viele Praxen relevanten Themenbereich. Anhand eines definierten Fragebogens wurden Vertragspraxen von April bis Mai 2022 telefonisch befragt.

1,25 Millionen Stunden mehr

Und das Ergebnis des aktuellen BIX ist alles andere als zufriedenstellend. Denn es zeigt sich, dass die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) in den Praxen nicht weniger Aufwand erzeugt, sondern sogar mehr Zeit frisst. Tatsächlich verursache das digitale Verfahren der eAU 50 Sekunden mehr bürokratischen Aufwand pro Fall als die papiergebundene Bescheinigung. Was zunächst vielleicht als gar nicht so viel klingt, addiert sich dann aber bei rund 90 Millionen ausgestellten AU pro Jahr doch auf eine erkleckliche Summe: Die Zahl der zusätzlichen Stunden, die für das digitale Verfahren anfallen, belaufe sich auf insgesamt rund 1,25 Millionen im Jahr, haben die Wissenschaftler:innen berechnet. Zeit, die für die Versorgung der Patient:innen fehlt. Anstatt die Praxen zu entlasten, habe die Digitalisierungspolitik sie mit der eAU nachweislich immer noch mehr belastet, kritisierte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel deshalb folgerichtig und mahnte zum wiederholten Male, eine Digitalisierung dürfe nicht auf Kosten der ärztlichen Behandlungszeit gehen.

Zusätzliche Papierausdrucke kosten Zeit

Gründe für diesen Bürokratie-Schub gibt es mehrere. So dauere die eAU länger als die Papier-AU, weil der elektronische Signier- und Versandvorgang sehr zeitaufwendig sei. Allein dafür gehen im Schnitt 30 Sekunden drauf. Während dieser Zeit können Ärzt:innen am Computer häufig nicht weiterarbeiten und auch keine Papierbescheinigungen ausdrucken. Und da kommt man auch zum zweiten Grund: Denn derzeit müsse immer noch eine Vielzahl an AU-Bescheinigungen im Nachhinein als Ersatzbescheinigung nochmals auf Papier ausgestellt werden, weil später entweder eine Fehlermeldung zum digitalen Versand auftaucht oder der digitale Versand erst gar nicht möglich ist, konstatierte Prof. Volker Wittberg von der Fachhochschule des Mittelstands und Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau, das die Untersuchung zum BIX durchgeführt hatte.

Telematikinfrastruktur muss reibungslos funktionieren

Grundsätzlich seien die Praxen unzufrieden mit dem zusätzlichen Aufwand, nicht aber mit dem elektronischen Verfahren an sich, stellte KBV-Vize Kriedel heraus. Um das digitale Signieren zu beschleunigen, müssten durch die gematik Mindestvorgaben definiert und überprüft werden, so Kriedel. Es müsse beispielsweise festgelegt werden, wie lange ein Signiervorgang maximal dauern darf und welche diesbezüglichen Funktionalitäten ein Softwaresystem seinen Anwender:innen anbieten muss. Die wichtigste Voraussetzung für den Einsatz digitaler Anwendungen in Praxen sei eine stabil funktionierende Telematikinfrastruktur (TI). In den Befragungen zum Bürokratieindex hätten viele Praxen über Probleme mit der Erreichbarkeit und Zuverlässigkeit der TI geklagt. So berichteten Vertragsärzt:innen wohl, dass der elektronische Versand von AU-Bescheinigungen häufig erst nach 18 Uhr möglich sei.

Um tatsächliche Verbesserungen für die ambulante medizinische Versorgung zu erzielen, müssten die weitere Implementierung und auch die Weiterentwicklung der TI von jetzt an nutzerorientiert vonstattengehen. "Jegliche digitale Anwendung ist vollumfänglich zu erproben, bevor sie im Praxisalltag landet", erklärte Kriedel.

Nur so lasse sich der verbliebene Rest an Akzeptanz in den Praxen erhalten und wieder aufbauen. Dies sei wiederum unverzichtbar für die Akzeptanz bei den Patient:innen. Bezogen auf die eAU sei es für eine rechtzeitige Erprobung zwar zu spät, da sie bereits verpflichtend in den Praxen ausgerollt wurde. Umso wichtiger sei es daher nun, das Feedback der Nutzer:innen fortan zu berücksichtigen und entsprechend nachzusteuern, so der KBV-Vorstand. Die eAU sei im Versorgungsalltag zu wichtig, um hier auf einen pragmatischen Perfektionismus zu verzichten.

Hoffnung auf Besserung

Vielleicht entwickelt sich das System aber doch noch zum Besseren. Nach der Einführung der eAU in den Arztpraxen soll nach den Vorgaben des Gesetzgebers ab 2023 die zweite Stufe starten. Die Arbeitgeber sind dann verpflichtet, die von den Praxen übermittelten AU-Daten digital bei der jeweiligen Krankenkasse abzurufen. Für Patient:innen heißt das, sie müssen ihre Krankschreibung nicht mehr selbst an den Arbeitgeber senden. Die Praxen müssen die Ausfertigung für den Arbeitgeber dann nicht mehr regelhaft ausdrucken. Damit könnte die AU zumindest ein Stück digitaler laufen, so die Hoffnung – wenn alles nach Plan läuft. Ob sich dadurch dann auch der jetzige hohe Aufklärungsbedarf der Patient:innen in den Praxen reduziert, bleibt abzuwarten.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (2) Seite 26-27