Harnwegsinfektionen bei Männern, die akute und die chronische bakterielle Prostatitis sowie das chronische Beckenschmerzsyndrom müssen in der Praxis diagnostisch voneinander abgegrenzt werden, um sie angemessen und effektiv behandeln zu können. Der nachfolgende Beitrag gibt dazu praxisnahe Hinweise. Er beruht auf einem Vortrag von Prof. Philip Tarr vom Kantonsspital Baselland.

Im Vortrag von Prof. Philip Tarr präsentierte der Infektiologe vom Kantonsspital Baselland drei Fallvignetten aus der eigenen Klinik.Beim ersten Beispiel handelte es sich um einen 24-jährigen Medizinstudenten, der auf der Notfallstation über Brennen beim Wasserlassen seit 2 Tagen und vermehrten Harndrang klagte. Er war afebril, hatte keinen urethralen Ausfluss, keine Flankenschmerzen und gab an, noch am Vortag zur Arbeit gegangen zu sein. Die persönliche Anamnese (PA) ergab keine weiteren Beschwerden. Im Urinsediment zeigten sich die Leukozyten (84/Gesichtsfeld) erhöht und keine Plattenepithelien, woraufhin eine Harnwegsinfektion (HWI) diagnostiziert und der Patient für 7 Tage empirisch mit dem Antibiotikum Trimethoprim behandelt wurde.

HWI eher selten bei jungen Männern

Das Ergebnis der angelegten Urinkultur (sensible E. coli) konnte anschließend die Diagnose bestätigen. Obwohl dazu nicht viele Daten vorlägen, lasse sich festhalten, dass eine symptomatische HWI bei jungen Männern eher selten vorkomme, sagte Tarr. Anders sieht es dagegen bei älteren Personen aus. Im Alter ab 65 Jahren sind beide Geschlechter etwa gleich häufig betroffen. Dabei sei der wichtigste Pathomechanismus, der die Männer im Alter aufholen lässt, die Prostatahyperplasie. Für die Diagnose einer HWI muss gemäß Leitlinien die Anzahl uropathogener Keime nicht unbedingt immer über den landläufig geforderten 100.000 pro ml liegen; bei typischer Klinik seien auch Keimzahlen von lediglich 100 (bei Frauen) oder 1.000 pro ml (bei Männern) diagnostisch hinreichend. Therapeutisch zeigt sich bei den jüngeren Männern meist ein promptes Ansprechen auf Antibiotika. Weitere Abklärungen sind bei ihnen normalerweise nicht erforderlich. Ein kompliziertes Thema stelle die asymptomatische Bakteriurie bei älteren Männern dar. Einerseits wisse man aus der Literatur, dass eine HWI der häufigste Grund für eine Bakteriämie bei Männern sei (Urosepsis), so Tarr. Gleichzeitig verursache eine Bakteriurie bei etwa 10 % aller Männer im Alter über 80 Jahren und bei immerhin 15 bis 40 % aller männlichen Bewohner von Pflegeheimen überhaupt keine Symptome. Haben diese Senioren dann möglicherweise aufgrund von viel häufiger auftretenden respiratorischen Infektionen Fieber, wird oft eine Urinkultur angelegt. Man findet dann die Bakterien, die man allerdings auch 2 Wochen zuvor gefunden hätte, und es wird fälschlicherweise eine HWI diagnostiziert. Doch selbst wenn bei ihnen tatsächlich eine HWI vorliegt, bedürften auch ältere Männer nicht unbedingt einer urologischen Abklärung, so Tarr. Die Ansicht, Männer mit HWI brauchten immer eine sofortige radiologische oder urologische Abklärung, sei daher ein "alter Zopf", schlussfolgerte Tarr, es sei denn, die Symptome persistierten oder es bestehe ein zusätzliches Problem (z. B. Immunsuppression, Harnverhalt oder eine andere, bereits bekannte urologische Auffälligkeit). Deshalb müsse hier stets individuell entschieden werden.

Kurz zusammengefasst
  • Bei männlichen Patienten mit einer ersten Episode einer Harnwegsinfektion (HWI) ist in der Regel keine urologische Untersuchung erforderlich. Sowohl bei jungen als auch bei alten Männern kommt dabei meist nichts Abnormales zum Vorschein. Eine weitergehende Abklärung sollte bei älteren Männern (ab 60 bis 65 Jahre) nur dann erfolgen, wenn das Ansprechen auf Antibiotika unzureichend ist.
  • Sinnvoll kann es bei HWI sein, im Rahmen der Untersuchung eine Prostatapalpation vorzunehmen, um eine benigne Prostatahyperplasie oder eine akute Prostatitis zu diagnostizieren.
  • Die Diagnose einer chronischen bakteriellen Prostatitis kann möglicherweise auf Männer mit wiederkehrenden HWI mit dem gleichen Keim beschränkt werden, es sei denn, man findet bildgebend oder bei der urologischen Abklärung eine andere Ursache für die rezidivierenden Infekte.
  • Wenn ein Mann mit perinealen oder ejakulatorischen chronischen Schmerzen keine rezidivierenden HWI-Episoden hat, sollte der Verdacht eher auf ein Beckenschmerzsyndrom gelenkt und der Patient an einen Urologen weitergewiesen werden.

Epididymitis: An STI denken!

Als zweite Fallvignette präsentierte der Referent einen männlichen Patienten, der über Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss aus der Harnröhre und Schmerzen beim Radfahren berichtete und bei dem seit 2 Tagen eine pralle, aber nicht schmerzhafte Schwellung des rechten Hodens vorlag. In der PA gab der Mann an, insertiven MSM-Sex (MSM: men who have sex with men) mit wechselnden Partnern zu praktizieren und Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) zur HIV-Präexpositionsprophylaxe einzunehmen. Es erfolgte die Diagnosestellung einer akuten Epididymitis. Gegen die Differenzialdia-
gnose einer Hodentorsion sprach zum einen, dass die Hodenschwellung nicht druckdolent war, und zum anderen zeigten sich bereits im Urinsediment zahlreiche Leukozyten. Beides deute eher auf einen Infekt hin statt auf eine Torsion, so Tarr. Tatsächlich war das am Folgetag vorliegende Ergebnis der PCR-Diagnostik des Erststrahlurins positiv für Gonokokken und Chlamydien. Bei 90 % der Männer unter 35 Jahren mit Epididymitis sei eine Urinkultur negativ, hier solle man stets an das Vorliegen einer sexuell übertragbaren Infektion (STI) denken. Bei älteren Männern finden sich dagegen tatsächlich eher HWI-Keime, vor allem wenn bei diesen Patienten zuvor eine urologische Instrumentation (z. B. Prostatabiopsie, Zystoskopie) erfolgt ist. Zur empirischen Behandlung der Epididymitis vor Verfügbarkeit eines mikrobiologischen Resultats empfehlen die Leitlinien Ceftriaxon 500 mg i.m. plus Doxycyclin 100 mg (1-0-1) für 10 Tage – das heißt, es soll so therapiert werden, als handele es sich tatsächlich um eine Gonorrhö und eine Chlamydieninfektion, wobei nach Ansicht Tarrs vermutlich auch 7 Tage ausreichen. Die Beschwerden sollten sich dann rasch bessern.

Prostatitis – akut …

Rund 25 % aller Männer erhalten in ihrem Leben einmal die Diagnose einer Prostatitis. Hierbei werden 3 Formen unterschieden: zum einen die akute bakterielle Prostatitis (Häufigkeit: < 1 %; klinische Diagnose, Keimnachweis gelingt nicht immer) und zum anderen die chronischen Formen, wobei man bei Keimnachweis von der chronischen bakteriellen Prostatitis (5–10 %) und ohne Keimnachweis vom chronischen Beckenschmerzsyndrom (90–95 %) spricht.

Beispiel: Ein 78 Jahre alter, ansonsten fitter Mann stellt sich mit Brennen beim Wasserlassen seit 3 bis 4 Tagen, analen Schmerzen und Schüttelfrost auf der Notfallstation vor. Es bestand kein Flankenschmerz, und die Hoden waren weder vergrößert noch schmerzhaft. Das Urinsediment zeigte erhöhte Leukozyten (80/Gesichtsfeld) und keine Plattenepithelien. Die akute Prostatitis geht typischerweise mit plötzlich einsetzenden Beschwerden beim Wasserlassen (bis zu Harnverhalt), mit Brennen in der Harnröhre und in der Blasengegend sowie mit vermehrtem Harndrang einher. Die Patienten präsentieren sich akut krank mit HWI, Fieber/Schüttelfrost und starken Schmerzen im Bereich von Rektum und Perineum sowie mit druckdolenter Prostata. Sorgfältig vorgenommen führe die digital-rektale Prostatauntersuchung entgegen den weitverbreiteten Befürchtungen nicht zu Bakteriämie und Sepsis – eine Prostatamassage sollte dabei aber vermieden werden, so Tarr. Im Fallbeispiel wurde aufgrund des Fiebers/Fröstelns eine i.v. Antibiose mit 2 g Ceftriaxon alle 24 Stunden gegeben. Die akute Prostatitis ist relativ selten und tritt meist im Anschluss an eine HWI und häufig im Zusammenhang mit urologischer Instrumentation (Dauerkatheter, Selbstkatheterisierung), Urethrastrikturen, Phimosen, selten nach Urethritis (sexuell übertragen) sowie zum Teil bei Zirrhose, Immunschwäche und Diabetes auf. Die ursächlichen Bakterienkeime entsprechen denen bei HWI; bei sexuell aktiven Männern sollte auch auf Gonokokken untersucht werden.

Therapeutisch werden Antibiotika (meist Fluorochinolone) für 1 bis 2 Wochen eingesetzt, unter denen die Symptome normalerweise prompt abklingen. Messungen des prostataspezifischen Antigens (PSA) sind nicht hilfreich und werden in sämtlichen Guidelines nicht empfohlen. Nur bei 60 % der Männer mit akuter bakterieller Prostatitis ist der PSA-Wert erhöht, und nach antibiotischer Behandlung sinkt er nur bei etwa 40 %. Deshalb eignet er sich auch nicht als Marker für ein Therapieansprechen.

… oder chronisch ...

Während die akute Prostatitis einen typischen Verlauf zeige und es sich deshalb nicht um eine kontroverse Diagnose handele, seien die übrigen (chronischen) Formen der Prostatitis und des Beckenschmerzsyndroms eher schwer fassbar, denn sie nähmen weder einen typischen Verlauf noch ließen sie sich anhand der Beschwerden eindeutig unterscheiden, konstatiert Tarr. In Abgrenzung zur akuten zeigen sich bei der chronischen bakteriellen Prostatitis die üblichen Symptome (z. B. Schmerzen im Bereich des Damms und der Hoden, an der Penisspitze, in der Scham- bzw. Blasenregion oder bei der Ejakulation; Dysurie) über mindestens 3 Monate; die Patienten präsentieren sich also nicht akut krank. Auf eine chronische Prostatitis hinweisende Symptome kämen durchaus auch bei jüngeren Männern vor. Die Beschwerden seien dabei meist nicht im Anschluss an eine (nicht korrekt behandelte) akute Prostatitis aufgetreten. Nicht selten finde sich allerdings anamnestisch ein Symptombeginn nach sexueller Aktivität oder nach einer Urethritisepisode. Es stelle sich bei diesen Symptomen stets die Frage, ob ihnen tatsächlich ein bakterielles Geschehen oder nicht eher ein Beckenschmerzsyndrom zugrunde liege. Als vielleicht beste diagnostische Definition der bakteriellen Prostatitis könne deshalb die in den Lehrbüchern zu findende "klassische" Klinik dienen, die afebrile Patienten mit rezidivierenden HWI (und/oder Urethritis, Epididymitis) mit dem gleichen Keim trotz adäquat scheinender Antibiotikatherapie umfasse. Das sollte dann Anlass zur Vermutung geben, dass es sich womöglich nicht um eine einfache Zystitis handelt, sondern dass vielleicht ein Keim in der Prostata hockt, der immer wieder herauskommt, wenn man lediglich für 5 oder 7 Tage therapiert, riet der Infektiologe. Bei solchen Patienten sollten dann eine Computertomografie und eine Restharnbestimmung erfolgen, auch wenn dabei nur in weniger als der Hälfte (23–50 %) der Fälle etwas Relevantes (Steine, Obstruktion u. a.) zum Vorschein komme.

Wenig aussagekräftig sei der sog. 2-Gläser-Test. Dabei wird jeweils vor und nach Prostatamassage eine Urinkultur angelegt, die bei chronischer bakterieller Prostatitis entweder negativ vorher und positiv danach auffällt oder aber auch schon vorher positiv sein kann, danach aber eine mindestens 10-mal höhere Keimzahl aufweisen sollte. Inzwischen wisse man aber, dass auch asymptomatische Patienten nach Prostatamassage Keimwachstum und Leukozyturie aufweisen können.

STI-Keime sind als Ursache der chronischen bakteriellen Prostatitis nicht etabliert. Die antibiotische Behandlung sollte relativ lang (unterschiedlich je nach Leitlinie, auf jeden Fall aber 4 bis 6 Wochen) dauern. Typischerweise werden dabei Fluorchinolone (500 mg/Tag für 4 Wochen) eingesetzt, die deutlich wirksamer sind als das früher häufig verwendete Trimethoprim-Sulfamethoxazol. Als Kombinationstherapie können Ciprofloxacin plus Azithromycin (für 6 Wochen, Wiederholung bei Beschwerdepersistenz) oder Fosfomycin plus Doxycyclin gegeben werden. Allerdings existieren vermehrt resistente Keime, und die optimale Behandlung ist dann nicht klar. Viele Antibiotika (Penicilline, Nitrofurantoin, Vancomycin) penetrieren zudem nur mäßig in die Prostata. Relativ hohe Konzentrationen in der Prostata wurden außer mit Fluorochinolonen mit Clindamycin, mit bestimmten Cephalosporinen, Carbapenemen und Aminoglykosiden, mit Aztreonam, Doxycyclin und Minocyclin, mit Makroliden sowie mit Linezolid und Fosfomycin erzielt. Über die Sinnhaftigkeit einer chirurgischen Entfernung von sog. Prostatasteinen liegen keine Daten vor.

... oder doch eher Beckenschmerzsyndrom?

Beim chronischen Beckenschmerzsyndrom sind die Ätiologie und die optimale Behandlung unklar, weshalb diese Patienten klassische Kandidaten zur Überweisung an den Urologen sind. Antibiotika (Ciprofloxacin, Tamsulosin oder Kombination) hätten hier in Studien kaum Wirkung gezeigt, berichtete Tarr. Allerdings würden in solche Studien häufig Patienten eingeschlossen, die schon antibiotisch vorbehandelt seien und eine durchschnittliche Symptomdauer von mehr als 6 Jahren aufwiesen. Deshalb müsse man vielleicht bei Patienten ohne Vorbehandlung und kürzerer Symptomdauer nicht so pessimistisch sein. Tatsächlich ließen sich in neueren Metaanalysen gewisse Effekte mit Antibiotika nachweisen. Der Grund dafür ist allerdings ebenfalls nicht klar, denn beim Beckenschmerzsyndrom handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose bei fehlendem Keimnachweis. Möglicherweise lässt sich die therapeutische Wirksamkeit der Antibiotika hier auf eine Suppression von nicht nachweisbaren Keimen oder auf einen potenziellen analgetischen bzw. antiinflammatorischen Effekt von Fluorchinolonen zurückführen.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Eine symptomatische Harnwegsinfektion kommt bei jüngeren Männern eher selten vor.
  • Rund 25 % aller Männer erhalten in ihrem Leben einmal die Diagnose einer Prostatitis.
  • Beim Beckenschmerzsyndrom handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose bei fehlendem Keimnachweis.


Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars Medici DossierVl 2422, ab S. 16

Quelle: "HWI bei Männern", Vortrag von Prof. Dr. Philip Tarr am FOMF Innere Medizin am 2. Dezember 2021 in Zürich.



Autor
Ralf Behrens

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (1) Seite 14-17