Nicht alles war bei Ausbruch von SARS-CoV-2 unbekannt. Vieles war schon lange bekannt, was zur Bewältigung der Coronapandemie nötig gewesen wäre. Dazu zählten auch die seit mehr als zehn Jahre vorliegenden Empfehlungen zu einer Pandemiebewältigung. Diese Fakten waren den Entscheidungsträgern bzw. deren wissenschaftlichen Beraternnicht bekannt oder wurden negiert.

Grundprinzip der Ausbreitung einer Pandemie mit respiratorischen Infekten ist die Verbreitung über die Luft. Diese häufigste Ausbreitung von Viren erfolgt schnell und wird durch die hohe Mobilität noch beschleunigt. Daraus ergeben sich drei Kernelemente:

1. Eine Infektion ist praktisch nicht zu verhindern

Abgeatmete, Viren enthaltende Aerosolpartikel bleiben in geschlossenen Räumen bei fehlendem Luftaustausch oder ohne Luftreiniger lange in Schwebe. Corona- und Influenzaviren bleiben mit einer Halbwertszeit von ca. einer Stunde in der Luft infektiös. Aus der Luft deponierte Viren an Oberflächen können nicht mehr in die Luft zurück, da die Adhäsionskräfte zu stark sind, und führen fast nie zu Ansteckungen. Eine Infektionsgefahr persistiert im leeren Raum, obwohl der Infizierte den Raum schon lange verlassen hat. Das erschwert auch die Nachverfolgung einer Infektionskette. Häufig wird dabei die Viruskonzentration nur von wenigen "Superspreadern" bestimmt. Infizierte können auch Viren abatmen, ohne selbst krank zu werden, bevor sie erkranken oder ein Virusnachweis im Nasen-Rachen-Raum positiv wird. Andere wiederum erkranken, ohne ansteckend zu sein.

Schon länger war bekannt, dass Viren (auch SARS-CoV-2) bei manchen Menschen im Nasen-Rachen-Raum oder auch in anderen Organen, ähnlich wie Herpes-simplex-Viren, persistieren können. Auch Haustiere können ein Reservoir darstellen. Damit ist jeder Versuch einer Viruselimination durch radikale Quarantänemaßnahmen (Null-COVID-Politik) von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Vorbeugende Testung oder Quarantäne von Infizierten sind sinnlos, weil sie eine Ausbreitung praktisch nicht hemmen. Dasselbe gilt für generelle Kontaktverfolgungen. Sie erfassen nur einen kleinen Teil der Ausbreitungswege und sind ausschließlich in Studien sinnvoll.

Landesweite Lockdownmaßnahmen sowie Grenz-, Schul-, Universitäts- oder Kitaschließungen sind in der Regel nicht erforderlich. Bei der Coronapandemie waren sie wirkungslos. Sie wären als Möglichkeit zur Verzögerung einer Ausbreitung nur begründet, wenn eine Pandemie die medizinische Versorgung in Praxen und Kliniken durch viele schwere Verläufe stark belasten würde.

Der Verlauf der Coronapandemie war anfangs nicht absehbar. Aber bereits im zweiten Halbjahr 2020 zeichnete sich ab, dass keine bundesweite Überfüllung der Kliniken und insbesondere keine der Intensivstationen vorlag. Im Gegenteil, die Überlebensrate war deutlich höher, wenn Patient:innen mit COVID-19 (Lungenentzündung mit isoliertem Sauerstoffabfall im Blut) nicht auf Intensivstationen kamen, wo bereits bei geringem Sauerstoffabfall intubiert und beatmet oder gar eine extrakorporale Sauerstoffversorgung (ECMO) angewendet wurde.

Die Intubation und Beatmung steht zwar in vielen Leitlinien, ist pathophysiologisch jedoch nicht begründet und hat viele unerwünschte Nebenwirkungen. Bei vergleichbarem Schweregrad lag die Mortalität bei COVID-19 auf Intensivstationen in Deutschland mit invasiver Beatmung konstant über 60%. Wurde nicht invasiv beatmet, lag die Todesrate konstant unter 10%.

Eine durchgemachte Infektion erwies sich auch in dieser Pandemie bei erneuter Infektion mit einer neuen Variante als besserer Schutz vor schwerem Verlauf als eine Impfung. Genesene infizierten sich erneut, wie von der Influenza bekannt, landeten aber seltener auf Intensivstationen. Die Impfung reduzierte die Reinfektionen nur bei den ersten Varianten.

Es war falsch, Antikörper als Hauptschutz vor Infektion, Infektion Dritter und schweren Verläufen zu sehen. Es ist infektiologisches Basiswissen, dass die zelluläre Immunität mit dem immunologischen Gedächtnis in der Infektabwehr vorrangig ist. Relevante Parameter für den Verlauf einer Pandemie können nur erfasste Krankheitsverläufe, Impfwirkungen und Reinfektionen in Kohorten und zusätzlich immunologische Parameter sein.

Also: Die Ausbreitung der Viren durch die Atemluft ist nicht zu verhindern; eine Pandemie werden wir nicht unterbinden können. Nur bei drohendem Kollaps der kritischen Infrastruktur und vor allem der medizinischen Versorgung sollten und müssen Maßnahmen zur Verzögerung erwogen werden.

2.Die Virusmenge pro Zeiteinheit entscheidet mit über den Krankheitsverlauf

Die Infektion mit einer geringen Viruszahl führt erst nach einigen Tagen zu einer meist milden Erkrankung, weil das Abwehrsystem für seine Aktivierung ausreichend Zeit hatte. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass nach Inhalation von großen Virusmengen in kurzer Zeit, z.B. 100.000 Coronaviren in wenigen Stunden, eine Erkrankung schneller entsteht, schwerer und mit einem höheren Sterberisiko verläuft. Der erste Wall der Immunabwehr wird regelrecht überrannt. Daher können die Viren sich lange Zeit im Körper ungehindert ausbreiten.

Also: Die Schwere der Infektion und die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs werden auch entscheidend von der Viruslast beeinflusst.

3. Das entscheidende Element bei der Pandemiebewältigung ist die Reduktion der infektiösen Last, um schwere Verläufe zu reduzieren

Aus 1 und 2 folgt, dass die Infektion mit einem Pandemievirus zwar kaum verhindert werden kann. Was kann man aber tun, um schwere Verläufe, Todesfälle und Langzeitfolgen zu reduzieren? Frühere Influenzapandemien und auch die Coronapandemie zeigen deutlich, dass trotz der unlösbaren Problematik der individuellen Disposition oder Begleit- bzw. Vorerkrankungen es ein einfaches Hauptziel gibt: die Reduktion der Viruslast und nicht die Ansteckung.

Also: Das Hauptziel einer Pandemiebewältigung muss in der Reduktion der Viruslast bei einer Ansteckung bestehen und nicht in der Vermeidung der Ansteckung.

Betreuung vulnerabler Gruppen

Aus früheren Pandemien ist bekannt, dass nicht nur Vorerkrankte und alte Menschen, sondern mitunter auch andere Altersgruppen gefährdet sind. In der Spanischen Grippe 1918/19 starben jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. 2017/18 sollen weltweit 30.000 Kinder an der Influenza gestorben sein. Ein Pandemievirus kann also im Prinzip alle Altersgruppen betreffen. Die Ursachen sind noch unklar; es wird vermutet, dass frühere Pandemien einen entsprechenden Langzeit-Infektionsschutz vor schweren Verläufen geschaffen haben, der den danach Geborenen fehlt. Risikogruppen sind somit zu Beginn einer Pandemie nicht bekannt. Die drei oben dargestellten Grundprinzipien zum Pandemiegeschehen ermöglichen aber eine effektivere Betreuung von Risikogruppen, d.h. nicht Verhindern von Infektionen, sondern von schweren Verläufen und Todesfällen.

Kinder erkranken seltener und milder an COVID-19. Daher geben sie das Virus auch seltener weiter und sie atmen deutlich weniger Aerosole und damit Viren ab als Erwachsene. Erwachsene sind die Hauptverantwortlichen für Virusausbrüche.

Also: Risikogruppen sollten individuell zugeschnittene Schutzkonzepte bekommen, die sich an den drei Grundprinzipien ausrichten.

Kontaktzeit und Abstand

Die Kontaktzeit bestimmt entscheidend die inhalierte Dosis an Viren. Je kürzer die Kontaktzeit, desto weniger Viren werden eingeatmet, desto leichter verläuft die Erkrankung.

Eine Abstandsregelung ist sinnvoll bei Erregern, die vorwiegend durch Husten übertragen werden, wie z.B. bei Tuberkulose. Bei einer Viruspandemie mit respiratorischen Infekten spielt die Übertragung durch Husten aber praktisch keine Rolle. Viren verteilen sich je nach Zirkulation rasch im Raum. Daher hilft eine Abstandsregel nicht, die Virusausbreitung und Krankheitsschwere zu reduzieren. Sie erzeugt "falsche Sicherheit." Unklug war es z.B., im Restaurant die Maske bis zum Tisch zu tragen und sie dann abzunehmen und sich damit der Viruslast in der Raumluft auszusetzen.

Also: Eine Abstandsregelung ist wenig hilfreich. Kurze Kontaktzeiten und Verdünnung der abgeatmeten Viren durch Luftzirkulation anzustreben, macht viel mehr Sinn.

Innen/außen

Im Freien besteht nahezu kein Risiko, weil die abgeatmete Luft sofort aufsteigt und verdünnt wird. Das Tragen von Masken und Lockdowns im Freien erübrigen sich. Die Übertragung erfolgt in geschlossenen Räumen, d.h. in kleinen, niedrigen und schlecht belüfteten Räumen mit vielen Menschen und langem Aufenthalt.

Also: Im Freien sind keine Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Es war von vornherein erkennbar, dass entsprechende Anordnungen sinnlos waren.

Masken

Masken sind je nach Material und engem Sitz zum Eigenschutz effizient, insbesondere zur Reduktion großer Viruslasten, nicht aber zur Verhinderung der Virusausbreitung. Das Tragen von Masken ist nicht gesundheitsschädlich.

Also: Masken verhindern in der Summe nicht die Infektion, reduzieren aber die Virusmenge beim korrekten Tragen deutlich. Damit schützen sie in erster Linie vor schweren Verläufen bis hin zu Todesfällen. Das Tragen einer Maske ist nur in Innenräumen sinnvoll, insbesondere wenn viele Personen anwesend sind, die Lüftung bzw. Luftreinigung schlecht ist und die Decken niedrig sind.

Hände- und Oberflächendesinfektion

Eine Oberflächendesinfektion ist sinnlos, da niedergeschlagene Viruspartikel wegen hoher Adhäsionskräfte nicht mehr aufgewirbelt werden können. Eine Infektion über Hände und Körperkontakt oder Augen ist nur theoretisch denkbar.

Also: Oberflächen- und Händedesinfektion ist bei aerogen übertragenen Viren nicht sinnvoll.

Krankschreibung und Quarantäne

Krankschreibung ist nur für tatsächlich Erkrankte sinnvoll. Quarantäne macht wenig Sinn, weil die Infizierten oft nicht oder kaum ansteckend sind oder Viren bereits vor der Erkrankung verbreitet haben. Sie sind eher schädlich wegen soziokultureller Schäden und verzögerter Diagnose anderer Erkrankungen.

Also: Krankschreibung ist nur bei entsprechenden Symptomen erforderlich. Quarantänemaßnahmen sind wirkungslos, da sie die Ausbreitung nicht hemmen.

Kontrolle der Infektionsverläufe und Modellierungen

Eines der großen Versäumnisse war die systematische Auswertung von Routinedaten und die Beobachtung des Pandemieverlaufes an guten und gut vorbereiteten prospektiven Studien. Die zahlreichen Modellierungen haben sich als ineffektiv erwiesen, alleine schon, weil viele Parameter geschätzt werden müssen.

Also: Zur Überwachung einer Pandemie sind wenige, über das Land verteilte ausreichend große Kohorten erforderlich, in denen die relevanten Daten prospektiv und mit hoher überprüfbarer Qualität erfasst werden.

Impfung

Eine Impfung gegen respiratorische Viren kann Infektionen verhindern, Verläufe abmildern und Todesfälle reduzieren. Allerdings ist die Effizienz nur durch randomisierte und kontrollierte Studien, also mit einer Placeboimpfgruppe, zu bestimmen. Beobachtungsstudien zur Wirkung einer Impfung, bei denen z.B. die Krankenhausaufnahme von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften untersucht wird, sind nicht verwertbar, da wie seit den großen Studien zur Influenzaimpfung in den 2000er-Jahren bekannt ein Vergleich von Impfwilligen falsche Ergebnisse erbringt. Es wird eher der Effekt des Gesundheitsbewusstseins als der Impfung erfasst. Daher zählen nur Placebo-kontrollierte Studien! Auch bei der Coronapandemie wäre dieser Effekt aufgefallen, wenn man danach gesucht hätte.

Angesichts der Vorkenntnisse ist es vollkommen unverständlich, dass nach Zulassung der Coronaimpfstoffe nur auf die Erkrankungshäufigkeit und die Todesrate der Geimpften gegenüber den Ungeimpften geschaut wurde. Es gab nach den Zulassungsstudien keine Placebokontrolle mehr. Wegen des hohen Risikos einer Verzerrung sind diese Daten zum Impfeffekt nur bedingt aussagefähig. Das gilt insbesondere für Mehrfachimpfungen mit Impfstoffen, die gegen das gleiche Virus gerichtet sind. Nicht unerwartet: Prospektive Kohortenstudien deuten bereits auf eine negative Wirkung mehrerer Impfungen hin.

Also: Epidemiologische Beobachtungsstudien zum Wirkungsnachweis einer Impfung sind wertlos, da die Impfwilligen einen anderen Lebensstil pflegen bzw. über ein anderes Gesundheitsbewusstsein verfügen, was alleine schon eine deutliche Reduktion der Krankenhausaufnahme sowie Mortalität bedingt. Da die überwiegende Mehrheit der Daten zur Bewertung der Impfstoffe bei der Coronapandemie aus Beobachtungsstudien stammt, kann derzeit keine gültige Bewertung der Wirksamkeit abgegeben werden.

Fazit

Wir brauchen gut durchdachte und vorurteilsfrei geplante Konzepte für die mit Sicherheit kommende neue Pandemie! Die alten Fehler dürfen nicht wiederholt werden.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Landesweite Lockdownmaßnahmen sind nur begründet, wenn die medizinische Versorgung gefährdet ist.
  • Die Schwere der Infektion wird auch entscheidend von der Viruslast beeinflusst.
  • Das Tragen einer Maske ist nur in Innenräumen sinnvoll.

Den ausführlichen Beitrag inklusive Literaturangaben finden Sie unter: https://www.sokrates-rationalisten-forum.de



Autoren
Sokrates (www.sokrates-rationalisten-forum.de)
Dr. med. Thomas Voshaar (Chefarzt, Lungen- und Thoraxzentrum Moers; Vorsitzender des Verbandes Pneumologischer Kliniken e.V.)
Prof. Dr. med. Dieter Köhler (ehemaliger Direktor, Klinikum Kloster Grafschaft, Schmallenberg)
Dr. med. Patrick Stais, LL.M., MHBA (Pneumologe, Lungen- und Thoraxzentrum Moers)
Dr. med. Thomas Hausen (Hausarzt im Ruhestand)
Priv. Doz. Dr. Andreas Edmüller (Philosophie, LMU München)
Prof. Dr. med Dominic Dellweg (Direktorder Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Gastroenterologie, Pius-Hospital Oldenburg)
Prof. em. Dr. med. Dr. h.c. Peter Nawroth, em. Direktor Innere Medizin I und Klinische Chemie, Univ. Heidelberg
Prof. Dr. med. Matthias Schrappe (Internist, Universität Köln)
Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes (Mathematiker und Medizinstatistiker, Universität Freiburg)
Dr. phil. nat. Gerhard Scheuch (Physiker mit Schwerpunkt Aerosolmedizin)
Norbert Paland (Ministerialdirigent a. D.)
Dr. phil. Andreas F. Rothenberger, Fürstenfeldbruck
Oliver Keymis (Landtagsvizepräsident a. D.)

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 36-39