Trinkt eine Frau in der Schwangerschaft Alkohol, hat das oft lebenslange, fatale Folgen für das betroffene Kind – von geistigen bis zu motorischen Defiziten. Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) kann aber auch zu Schlafstörungen führen, wie aktuelle Daten zeigen.

Der kausale Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum der Mütter während der Schwangerschaft und der Geburt eines geschädigten Kindes wurde erst im 20. Jahrhundert erkannt [8, 11]. (Äthyl-) Alkohol ist eine psychoaktive Substanz und eine teratogene Noxe, die vor allem das sich in Entwicklung befindliche Gehirn schädigt. Die intrauterine Alkoholschädigung wird heute als Spektrumstörung definiert. Dabei zeigen sich viele Nebensymptome, in variabler Ausprägung aber auch einige Kernsymptome: strukturelle Anomalien, neurokognitive Störungen und Verhaltensauffälligkeiten. In den westlichen Industriestaaten ist die FASD (Fetale Alkoholspektrumstörung) das häufigste, nicht-genetisch bedingte, angeborene Fehlbildungssyndrom [18].

Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und FASD

Acht von zehn Frauen trinken während der Schwangerschaft Alkohol (vgl. Tabelle) [4]. Derzeit lässt sich keine Alkoholmenge angeben, die für das ungeborene Kind als ungefährlich bezeichnet werden könnte. Der Arzt muss somit auf die Frage, ob mit einem Glas Sekt auf die Schwangerschaft angestoßen werden darf, mit einem klaren "Nein!" antworten [5].

Die Inzidenz des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) liegt in Deutschland bei 0,5 bis 2 betroffene Neugeborene pro 1.000 Geburten, das sind 600 – 1.200 Neugeborene mit voll ausgeprägtem FAS pro Jahr. Für die gesamte Bandbreite der FASD ist die Häufigkeit bedeutend höher (vier bis sechs betroffene Kinder pro 1.000 Geburten). Jährlich kommen in Deutschland – bei konservativer Schätzung – 3.000 bis 4.000 Neugeborene mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung zur Welt [20]. Zur FASD zählen [2]:
  • das Fetale Alkoholsyndrom (FAS)
  • das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS)
  • die Alkohol-bedingte entwicklungsneurologische Störung (ARND)
  • die Alkohol-bedingte angeborene Malformation (ARBD)

Für die Diagnose der FASD gibt es keinen biologischen Marker. Eine frühe Diagnosestellung ist für die möglichst günstige Entwicklung der betroffenen Kinder unverzichtbar. Die klinische Untersuchung stützt sich auf vier wesentliche Teilaspekte:
  1. Kleinwuchs/Untergewicht
  2. kraniofaziale Dysmorphie, im Sinne auffälliger/diskreter dysmorpher Stigmata im Gesicht
  3. psychische Störungen mit Hinweis auf strukturelle und funktionelle ZNS-Störungen und
  4. Alkoholabusus (aktuell oder in der Anamnese) der Mutter während der Schwangerschaft.

Bei Verdacht empfiehlt sich die Vorstellung in einer humangenetischen Sprechstunde oder einer FASD-Fachambulanz [12, 13, 20]. Alkoholkonsum wird in Deutschland gesellschaftlich toleriert, während der Schwangerschaft aber tabuisiert. Bei der Prävention spielt der Allgemeinarzt deshalb eine wichtige Rolle [5].

FASD und Schlaf

Es gibt immer mehr Hinweise, dass Kinder und Jugendliche mit FASD neben kraniofazialen Dysmorphien und multiplen neurophysiologischen Defiziten auch an Schlafstörungen (häufige und anhaltende Ein- und Durchschlafstörungen) [3, 7, 21] sowie am Restless-Legs-Syndrom (RLS) leiden [6]. Studien mittels Polysomnografie (PSG mit Video) wurden bisher bei FASD aber nur wenige publiziert.

Eigene Untersuchung

41 Kinder und Jugendliche mit FASD und Schlafstörungen wurden von 2008 bis 2018 im Schlaflabor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln untersucht (mein Dank geht an die Selbsthilfegruppe FASD Deutschland e.V. für die vertrauensvolle Zusammenarbeit) [17]. Entwicklungsstörungen unterschiedlicher Ausprägung waren bei allen Patienten vorhanden. Bei den Schlafstörungen handelte es sich nach der ICSD-3 [1] um Ein- und Durchschlafstörungen als Hinweis auf eine Insomnie bei 17 von 41 Patienten, um eine Hypersomnie bei einem Teilnehmer, um schlafbezogene Atmungsstörungen bei zwei Personen, um schlafbezogene Bewegungsstörungen bei 15 Patienten (RLS: 12, rhythmische Bewegungsstörungen: 6), um Parasomnien bei 36 Patienten (36 NREM-, 5 REM-Parasomnien), um Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen bei 22 und um pathologische EEG-Befunde bei vier Patienten.

In den Diagnosekriterien werden Schlafstörungen, die man zu neurophysiologischen Funktionsstörungen rechnet, nicht explizit genannt [2, 10, 12, 13, 18, 19], demnach liegen bisher zu wenige qualifizierte Publikationen über Schlaf und FASD vor. Die Häufigkeitsangaben zeigen, dass Schlafstörungen bei FASD-Patienten um den Faktor 30- bis 40 häufiger vorkamen als in der Allgemeinpopulation. Alle Schlafprobleme der FASD-Gruppe ließen sich mit den Begriffen und Definitionen der ICSD beschreiben. Das heißt: Es gibt keine exklusiv nur bei FASD vorkommende Schlafstörung. Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen und NREM-Parasomnien bildeten die häufigste Kombination von Störungen in der Fallserie. Das gehäufte Auftreten und die nicht-altersgerechte Rückbildung der NREM-Parasomnien weisen auf ein Reifungsdefizit bestimmter ZNS-Strukturen hin sowie auf eine verminderte Stress-Resistenz [14 – 16]. Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen geben Hinweise auf eine Störung der Anpassung des inneren Schlaf-Wach- an den äußeren Tag-Nacht-Rhythmus [6, 19].

Kasuistik
Das etwa 11 ½-jährige Mädchen wurde wegen Ein- und Durchschlafstörungen erstmals zur Schlafdiagnostik vorgestellt (Abbildung). Bei der 29-jährigen Mutter zeigen sich chronischer Alkoholmissbrauch (auch während der Schwangerschaft), Nikotin- und Drogenabusus. Auch der Vater ist alkoholabhängig. Die Geburt erfolgt nach 36 Schwangerschaftswochen (Geburtsgewicht: 2.700 g, Kopfumfang auf der zehnten Perzentile). Wegen einer Hypoglykämie und Zeichen des Nikotinentzugs wurde das Kind am ersten Lebenstag in eine Kinderklinik verlegt. Mit drei Monaten kommt es in eine Pflegefamilie (wie ihre drei älteren Geschwister).

Die allgemeine Entwicklung verläuft verzögert. Die Diagnose FAS wird im Kleinkindalter gestellt. Mit zehn Jahren zeigen sich dysmorphe Stigmata im Gesicht (kurze Lidspalten, schmales Lippenrot), eine emotionale Störung, eine Entwicklungsstörung der Motorik und des Sprechens, Intelligenz im Grenzbereich zwischen unterdurchschnittlicher kognitiver Leistung und Intelligenzminderung, eine deutliche und übergreifende soziale Beeinträchtigung, Ein- und Durchschlafstörungen seit dem ersten Lebensjahr, vermehrte Vergesslichkeit und Müdigkeit am Tage.

Als schlafmedizinische Diagnosen nach der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-3) [1] wurden Insomnie, RLS und NREM-Parasomnien gestellt.


Literatur:
1. American Association of Sleep Medicine: The International Classification of Sleep Disorders. Third Edition (ICSD-3), 2014
2. AWMF, Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften: Leitlinie S3: FASD
3. Chen ML et al.: Sleep problems in children with fetal alcohol spectrum Disorder. JCSM 2012; 8:424-429
4. FASD Deutschland e.V.: aufklären, beraten, helfen. Informationsflyer 2012
5. Herrmann D, Kiefer F: Schädigender Alkoholkonsum. Dtsch Ärztebl 2013; 110:701-702
6. Ipsiroglu O, McKellin W, Carey N, Look C: "They silently live in terror …" Why sleep problems and night-time related quality-of-life are missed in children with a fetal alcohol spectrum disorder. Social Science and Medicine 2013; 79:76-83
7. Jan J, Bax M, Owens J, Ipsiroglu O, Wasdell M: Neurophysiology of circadian rhythm sleep disorders of children with neuro-developmental disabilities. Eur J Pediatric Neurology 2012; 16:403-412
8. Jones KL, Smith DW: Recognition of the fetal alcohol syndrome in early infancy, Lancet 1973; 302:999-1001
9. Küfner H, Kraus L: Epidemiologische und ökonomische Aspekte des Alkoholismus. Deutsch Ärztebl 2002; 99:B782-B788
10. Landgraf MN, Heinen: Diagnostik fetaler Alkoholspektrumstörungen in der Kinder- und Jugendmedizin. Empfehlungen für die Praxis gemäß der S3-Leitlinie. Monatsschr Kinderheilkd 2017; 165:786-739
11. Lemoine P, Naroussceau H, Borteym J: Children of alcoholic parents. Observed anomalies (127 cases). Quest Med 1968; 21:476-482
12. Pfinder M, Feldmann R: Das fetale Alkoholsyndrom (FAS). Kinderärztliche Praxis 2011; 82:170-174
13. Pfinder M, Feldmann R: Das fetale Alkoholsyndrom: Persistierende prä- und postnatale Entwicklungsdefizite. Päd 2011; 17:232-239
14. Schlüter B: Parasomnien im Kindes- und Jugendalter (Teil1). Päd 2015; 21:163-167
15. Schlüter B: Parasomnien im Kindes- und Jugendalter (Teil2). Päd 2015; 21:213-218
16. Schlüter B, Schürmann U, Kutz P, Roll C: Schläft mein Kind genug? Kinder- und Jugendarzt 2018; 49:402-414
17. Schlüter B, Kutz P, Schürmann U, Roll C: Kinder und Jugendliche mit FASD – eine Risikogruppe für Schlafstörungen? In: Weiss S, Sauseng W, Paditz E (Hrsg.): Aktuelle Kinderschlafmedizin 2019, Kleanthes Verlag Dresden, 2019, S. 206-215
18. Spohr H-L, Steinhausen H-C: Fetale Alkohol-Spektrum-Störungen. Dtsch Ärztebl 2008; 105:693-698
19. Spohr H-L: FAS und Schlafstörungen. In: Spohr H-L: Das fetale Alkoholsyndrom im Kindes- und Erwachsenenalter. Walter de Gruyter GmbH Berlin, Boston, 2. Aufl. 2016, S. 1-16
20. Spohr H-L: Das fetale Alkoholsyndrom im Kindes- und Erwachsenenalter. Kinder- und Jugendarzt 2018; 49:468-472
21. Stade B et al.: Sleep disturbances in children with fetal alcohol spectrum disorder (FASD). Pediatrics and Child Health 2008; 13


Autor

Prof. Dr. Bernhard Schlüter

Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln
45711 Datteln

Interessenkonflikte: keine

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Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 24-25