Immer mehr Frauen bekommen heute ihr erstes Kind im vierten Lebensjahrzehnt [5]. Spätgebärende haben aber nicht nur ein anderes Risikoprofil, sondern bringen häufiger internistische Vorerkrankungen mit. Deshalb wird Stillberatung auch zunehmend in der Allgemeinpraxis relevant. Stillen reduziert zudem nachweislich "Zivilisationskrankheiten" wie Adipositas, Hypertonie und Diabetes. Motivierende Stillberatung sollte deshalb nicht mehr auf Hebammen und Frauenärzt:innen beschränkt sein – auch Hausärzt:innen können ihre Patientinnen mit guten Basiskenntnissen beim Stillen unterstützen.
In der täglichen Praxis betreuen wir auch zunehmend Patientinnen mit Hypertonie und/oder (Schwangerschafts-)Diabetes. Was ist zu beachten, wenn diese ihr Kind stillen wollen?
Breast is best? Vorteile für das Kind
Stillen ist nach heutigem Wissensstand die optimale Ernährung für das Neugeborene und bietet zahlreiche Vorteile für Kind und Mutter (Tabelle 1). Stillen reduziert bei Säuglingen das Risiko von Durchfallerkrankungen um die Hälfte und führt zu einer Risikoreduktion von Lungenentzündungen um ein Drittel. Auch in den Industrienationen reduziert die Ernährung mit Muttermilch die kindliche Mortalität, da gestillte Kinder seltener einen plötzlichen Kindstod erleiden und Frühgeborene weniger häufig an einer nekrotisierenden Kolitis erkranken [24].
Vor allem mit Blick auf "Zivilisationskrankheiten" wie Adipositas, Diabetes und Hochdruck kann man Stillen als frühe Präventionsmaßnahme für den Nachwuchs ansehen [9, 12, 27]. Für das Stillen wurde auch ein positiver Einfluss auf die kindliche Intelligenz nachgewiesen – rund drei bis vier IQ-Punkte sollen sich durch das Stillen gewinnen lassen [1, 11, 25]. Eine schnellere Ausreifung der Myelinscheiden wird postuliert [6]. Eine prospektive longitudinale Kohortenstudie konnte sogar ein höheres Einkommen im Alter von 30 Jahren für die gestillten Kinder nachweisen [25]. Das Allergierisiko beeinflusst das Stillen nicht, wie aktuelle Daten zeigen. Es scheint aber einen möglichen protektiven Effekt bezüglich allergischen Asthmas zu geben [16].
Vorteile für die Mutter
Eine stillende Mutter reduziert ihr Risiko für ein Ovarial-Ca. um bis zu 35 % [15], für Brustkrebs um 4,3 % pro zwölf Monate Stillen sowie um 7 % pro Geburt [4]. Bei Gestationsdiabetes reduziert sich das Risiko einer stillenden Mutter, in den nächsten Jahren einen manifesten Diabetes zu erwerben, signifikant [28]. Die WHO empfiehlt insgesamt sechs Monate ausschließliches Stillen nach Bedarf des Kindes, gefolgt von der Einführung geeigneter Beikost unter dem Schutz des Stillens und dem Weiterstillen bis zum Alter von zwei Jahren und darüber hinaus, solange es Mutter und Kind wünschen [26]. In Deutschland liegen die Stillquoten (mindestens vier bzw. sechs Monate) bei 40 % bzw. 12,5 %. Die durchschnittliche Stilldauer beträgt 7,5 Monate [2]. Muttermilch deckt für die ersten sechs Monate Babys Flüssigkeits-, Nährstoff- und Energiebedarf. Das Zufüttern von Wasser und Tee ist bei einem voll gestillten Säugling überflüssig.
Besondere Stillkonstellationen
Vegane und vegetarische Ernährung muss hier besonders ausgewogen sein und sollte ärztlich begleitet werden. In Schwangerschaft und Stillzeit ist eine Supplementation von Vitamin B12 indiziert, ggf. auch von Eisen und Docosahexaensäure (DHA), um Mangelzuständen von Mutter und Kind vorzubeugen. Gleiches gilt für Stillende nach bariatrischer Chirurgie. Regelmäßige Laborkontrollen sollten erfolgen. In sehr wenigen Ausnahmen muss vom Stillen abgeraten werden (Tabelle 2).
Einfluss der Geburt auf das Stillen
Es gibt Risikokonstellationen, in denen Stillschwierigkeiten häufiger zu erwarten sind. Eine Frühgeburt erfordert oft ein anfängliches Abpumpen der Muttermilch, bis das Frühgeborene kräftig genug ist, um an der Brust zu saugen. Eine wesentliche Ursache von Frühgeburtlichkeit ist die schwere Präeklampsie (Hypertonus in der Schwangerschaft). Sehr kleine Frühgeborene profitieren in besonderem Maße von Muttermilchernährung, da diese das Risiko für eine nekrotisierende Enterokolitis signifikant reduziert [17]. In Deutschland werden derzeit ca. 30 % aller Babys per Kaiserschnitt entbunden. In der kanadischen "All Our Baby Study" wurde beschrieben, dass Frauen, die eine geplante Sectio erhalten haben, häufiger nicht stillen wollen im Vergleich zu Frauen nach vaginaler Geburt (7,4 % vs. 3,4 %) und ungeplanter Sectio (2,7 %) [9].
- HIV-positive Mütter (unter bestimmten Voraussetzungen kann nach ausführlicher Aufklärung gestillt werden, neue S2k-LL [20])
- HTLV-1- oder -2-positive Mütter
- Seltene Stoffwechselerkrankungen (Galaktosämie)
- zytotoxische maternale Medikation (siehe hierfür http://www.embryotox.de oder Drugs and Lactation Database (LactMed))
- geplante Bestrahlung der Brust
- Herpesinfektion an der Brust (an gesunder Brust kann gestillt werden)
Gelegentlich ist aus medizinischen Gründen nach der Geburt die Trennung von Mutter und Kind für einen gewissen Zeitraum erforderlich, was den Stillbeginn erschwert. Ein ausgeprägter Blutverlust unter der Geburt stellt per se ein Risiko für eine verzögerte Milchbildung dar. Kinder von Müttern mit insulinpflichtigem (Gestations-)Diabetes sind besonders gefährdet für neonatale Hypoglykämien. Das Hypoglykämierisiko kann durch eine gute Blutzuckereinstellung in der Schwangerschaft und Frühfütterung im Kreißsaal, ggf. auch mit zuvor gewonnenem Kolostrum, reduziert werden. Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft stillen insgesamt kürzer als nicht diabetische Mütter, profitieren aber besonders vom Stillen. Hier ist bereits eine vorgeburtliche motivierende Aufklärung sinnvoll. Für die Nachsorge ist wichtig zu wissen, dass Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft ein signifikant höheres Risiko für eine Depression im Wochenbett haben [13]. Es empfiehlt sich deshalb, etwa im Rahmen des postpartalen oralen Glukosetoleranztests, den Edinburgh-Depressions-Fragebogen nach der Geburt (EPDS) zu erheben. Man findet diesen online im Anhang der S3 Leitlinie Gestationsdiabetes [22]. Bei einem Summenscore > 10 wird eine fachspezifische Abklärung empfohlen.
Zu viel oder zu wenig Milch?
Viele Frauen kämpfen mit Insuffizienz- und Schuldgefühlen, wenn sie ihr Kind nicht voll stillen können. Durch eine professionelle Stillberatung können die meisten Probleme erkannt und gelöst werden. Zudem sollte man diese Frauen entlasten. Formulanahrung ist eine echte Alternative, auch Teilstillen ist möglich. Es existieren Hebammenlisten und Kontaktadressen von Stillberater:innen, die u. a. über den Hebammenverband erhältlich sind. Das Honorar für die Stillberater:in muss die Patientin häufig selbst tragen. Alternativ gibt es an vielen Kliniken kostengünstige "Stillcafés", in denen in einer Runde stillender Mütter Erfahrungen und Tipps ausgetauscht werden können. Diese Stillcafés werden meist durch eine Stillberater:in oder eine Hebamme begleitet. Aufgrund der aktuellen Pandemiesituation werden von einigen Kliniken Stillhotlines und teilweise auch Stillcafés per Videokonferenz angeboten.
Bei akuten Erkrankungen der laktierenden Brust, insbesondere bei Mastitis puerperalis mit Fieber, sind Frauenärzt:innen und Notaufnahmen die richtige Anlaufstelle. Bei einer bakteriellen Mastitis puerperalis gilt die antibiotische Therapie neben der häufigen und effektiven Brustentleerung als Goldstandard. Das Baby darf und soll in den meisten Fällen weiter an die Brust angelegt werden. Bei hohem Fieber und ausgeprägtem Krankheitsgefühl wird die antibiotische Therapie intravenös verabreicht und die Frauen müssen stationär betreut werden. Das Baby wird zur Wahrung der Mutter-Kind-Einheit meist ebenfalls aufgenommen. In wenigen Fällen kann eine Mastitis zu einer Abszedierung, selten auch zu einer Sepsis führen. Die antibiotische Therapie wird für mindestens 10 – 14 Tage empfohlen, da die lange Gabe das Rezidivrisiko zu mindern scheint [21]. Der Erreger der Mastitis ist > 90 % der Fälle Staphylococcus aureus.
Die Therapie der Wahl beinhaltet b-Lactamase-feste Penicillinderivate und Cephalosporine, die mit dem Stillen gut vereinbar sind. Beide gehen in die Muttermilch über und können beim Kind zu einer Veränderung der Stuhlkonsistenz führen und auch das kindliche Mikrobiom beeinflussen. Neuere Studien untersuchen alternative Therapiemöglichkeiten mit Probiotika, etwa fermentierte Milchsäurebakterien. Nach aktueller Datenlage kann jedoch noch keine Empfehlung ausgesprochen werden. Bei Allergie gegen Penicillin beziehungsweise Betalaktam-Antibiotika kann man bei nachgewiesener Empfindlichkeit auch Clindamycin einsetzen. Beim Milchstau/Mastitis puerperalis sollten unterstützend nichtsteroidale Antiphlogistika als analgetische und antiphlogistische Maßnahme eingesetzt werden. Eine infektionsbedingte Mastitis ist kein Grund zum Abstillen.
COVID-19 und Stillen
Aufgrund der überwiegenden Vorteile des Stillens sollen Mütter mit einer vermuteten oder nachgewiesenen COVID-19-Infektion uneingeschränkt stillen, wenn es ihr Gesundheitszustand zulässt. Auch bei der stillenden Mutter sollte sich das Hauptaugenmerk auf die Ansteckungsgefahr über Tröpfcheninfektion richten. Eine direkte Ansteckung über die Muttermilch ist unwahrscheinlich, dafür ist von einem "Nestschutz" nach Erkrankung und/oder Impfung auszugehen [18, 14]. Für erkrankte Mütter in stabilem Gesundheitszustand beinhalten die Empfehlungen der UNICEF das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im nahen Kontakt mit dem Kind inklusive während des Stillens, Händewaschen vor und nach dem Kontakt mit dem Kind sowie Reinigung oder Desinfektion von kontaminierten Oberflächen [23]. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) spricht sich zusammen mit zehn weiteren Fachgesellschaften aufgrund der aktuellen Datenlage nach Nutzen-Risiko-Abwägung für eine mRNA-basierte Impfung von Schwangeren und Stillenden aus [7]. Empfehlungen müssen dem aktuellen Wissensstand angepasst werden.
- Stillen bietet viele Vorteile für Mutter und Kind.
- Es gibt nur wenige Kontraindikationen, z. B. HIV, zytotoxische Medikation der Mutter, geplante Brustbestrahlung oder Herpesinfektion der Brust.
- Auch Teilstillen plus Formulanahrung ist möglich.

Dr. Iris Dressler-Steinbach
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 20-22