Die Gicht ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der sich die Gelenke entzünden. Bei einem Gichtanfall schwellen bestimmte Gelenke innerhalb weniger Stunden an und werden sehr schmerzempfindlich. Auslöser der Entzündung sind winzige, nadelförmige Kristalle aus Harnsäure, die sich vor allem in den Gelenken ablagern. Wie alte Quellen belegen, plagt die Gicht die Menschen schon seit der Antike. So suchten sie fortwährend nach Mitteln, um ihre starken Schmerzen während einer Gichtattacke zu lindern. Zum großen Heer der Gichtgeplagten zählen viele bekannte Persönlichkeiten. Einige Berichte zeugen noch heute von ihren schrecklichen Qualen.

Erste erhaltene Schriften, die sich mit der Gicht beschäftigen, sind einige Lehrsätze des berühmten griechischen Arztes Hippokrates (um 460 v. Chr. bis um 380 v. Chr.). Er benutzt für die Erkrankung den Begriff "Podagra", da der typische sehr schmerzhafte Gichtanfall meist nachts im Grundgelenk der großen Zehe, dem "Podagra", auftritt. Das ist auch der altgriechische Ausdruck für "Fußgicht" oder "Fußfalle".

Hippokrates und das "Podagra"

Hippokrates ist ein guter Beobachter. So beschreibt er, dass die Gicht oft in den gleichen Familien und als Erbkrankheit auftritt. Er erkennt als Risikofaktoren Untätigkeit und die Maßlosigkeit im Essen und Trinken. Erstaunlich ist, dass Hippokrates in seiner "Abhandlung der Erkrankungen" schon zwischen der Gicht (Podagra) und anderen schmerzhaften und entzündlichen Gelenkerkrankungen – er nennt sie Arthritis – unterscheidet. Damit meint der Arzt das Krankheitsbild der rheumatoiden Arthritis. Hippokrates sucht die Ursache der Gicht in der damals aktuellen Humoralpathologie, d. h. in einer Störung des Gleichgewichts der Körpersäfte. Während nach Hippokrates die im Kopfschwamm (Gehirn) gebildete Flüssigkeit normalerweise über die Ausscheidungsorgane aus dem Körper entfernt wird, staut sie sich bei der Gicht im Organismus und fließt dann an der Stelle des geringsten Widerstandes – das ist bei Hippokrates das Podagra, die große Zehe – aus dem Körper ab. Diese Erklärung über die Ursachen der Gicht sollte noch lange die Gichttherapie beeinflussen. Die nachfolgenden Ärztegenerationen verwechselten die Gicht mit dem Rheumatismus und verordneten gegen das Podagra die üblichen Mittel: Aderlässe, Laxantien, Medikamente pflanzlichen und tierischen Ursprungs, ohne damit eine Linderung der Gichtbeschwerden zu erreichen.

Schon früh wird ein Heilmittel entdeckt

Nachdem es einige Jahrhunderte um die Gicht recht ruhig gewesen war, wurde diese Krankheit im 5. Jahrhundert in Byzanz hochaktuell und beschäftigte die byzantinischen Ärzte. Der Grund dafür: Die meisten der zahlreichen Angestellten und Mitglieder des byzantinischen Kaiserhofs wurden von den extrem schmerzhaften Gichtanfällen gequält. Eine Folge ihres maßlosen Schlemmens und Trinkens und des Nichtstuns! Wahrscheinlich hat der byzantinische Arzt Jakob Psychrestos (gestorben um 467) als Erster die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) in Byzanz als Heilmittel gegen die Gicht eingesetzt. Es erstaunt immer wieder, mit welcher Treffsicherheit die Menschen schon in der Antike hin und wieder wirksame Heilpflanzen fanden. So hat man schon frühzeitig im Rahmen der "Signaturenlehre" die Zwiebel der Herbstzeitlosen als Gichtmittel verwendet. Denn die Form der Zwiebel erinnert an die große Zehe. Der byzantinische Arzt und Autor Alexander von Tralles (geb. um 525 n. Chr.) schreibt dazu: "Bestimmte Personen nehmen die Herbstzeitlose als Heilmittelgetränk zu sich und behaupten, dass die Schmerzen sofort nachließen und sie gleichzeitig Stuhlgang hätten. Die Erleichterung sei derartig, dass sie alsbald wieder aufstehen wollten. Obwohl es sehr selten vorkommt, dass dieses Heilmittel die darin gesetzten Erwartungen enttäuscht, enthält es doch schädliche Bestandteile … Man achte darauf, dass die Patienten, die dieses Heilmittel eingenommen haben, sich darüber im Klaren sind, dass ihr Magen verstimmt sein wird, wenn sie am selben Tage noch essen wollen. Aus diesem Grunde ist es gut, dem Heiltrank Mittel beizumischen, die dem Schaden, den die Droge am Magen hervorruft, entgegenwirken." Damit hat Tralles schon erkannt, dass das in allen Teilen der Pflanze vorkommende Alkaloid Colchicin auch in therapeutischer Dosis Reizungen der Schleimhäute des Magen-Darm-Kanals und starke Durchfälle auslösen kann. Tralles war außerdem die Bedeutung der richtigen Ernährung bei der Therapie von Krankheiten bewusst. Er schreibt: "Die Nahrung ist der erste und wichtigste Teil der Behandlung bei allen Krankheiten."

Hildegard empfiehlt Bäder in Ameisenwasser!

Der Begriff "Gicht" taucht erst im 9. Jahrhundert in der Volkssprache auf. Er leitet sich vom französischen Wort "goutte" (Tropfen) ab und charakterisiert Krankheiten, die "von Säften herrühren, die langsam, Tropfen für Tropfen (goutte), in die verschiedenen Teile des Körpers fließen." Die Gicht und ihre Behandlung wird von vielen Autoren des Mittelalters beschrieben. Die heilkundige Nonne Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) beschreibt in ihrem Werk "Causae et curae" die Gicht sogar als Seuche: "Menschen, die weiches, mit vielen Poren durchsetztes Fleisch haben und übermäßigem Genuß von schwerem Wein sehr ergeben sind, werden häufig von der Seuche heimgesucht, welche der "Tropfen" (gutta) genannt wird. Bei Leuten mit weichem Fleisch fallen nämlich infolge des unmäßigen Trinkens die schlechten Säfte, die in ihnen sind, plötzlich in eines ihrer Glieder und zerstören es wie Brandpfeile …"

Hildegard empfiehlt dem Kranken, Petersilie und Gartenraute mit Olivenöl oder Bockstalg in einer Schüssel zu erwärmen. Die Kräuter soll er so warm wie möglich auf die schmerzende Stelle legen und das Ganze mit einem Tuch abdecken. Bei schweren Fällen oder im fortgeschrittenen Zustand kann man in Hildegards "Physica" nachlesen: "Wenn ein Mensch so "vergichtiget" ist, dass alle Glieder hinfällig werden und seine Zunge versagt, dann möge man Blätter des Aarongrases (wahrscheinlich Braune Haselwurz – Asarum europaeum) mit etwas Salz essen und die Gicht wird ihn verlassen." Als weiteres Mittel nennt die Nonne eine Salbe aus Wermut, Hirschtalg und Hirschmark zubereitet. Etwas gewöhnungsbedürftig ist folgendes Rezept für den Gichtgeplagten: "… soll einen Ameisenhaufen mit samt den Ameisen in Wasser kochen; er soll sich daraus ein Bad bereiten für den ganzen Körper außer für den Kopf. Für diesen ist das Wasser zu stark, so dass er daran Schaden nehmen könnte. Häufige Bäder in solchem Wasser vertreiben die Gicht." Der volkstümliche Begriff "Zipperlein" stammt von dem berühmten Arzt Paracelsus (1493 bis 1541). Abgeleitet ist er vom mittelhochdeutschen Wort "zipfen", was so viel wie "trippeln" oder "zappeln" bedeutet. Auch im Mittelalter war die Herbstzeitlose als Gicht-Therapeutikum den Ärzten bekannt. Aber aus Angst vor Vergiftungen wurde sie kaum eingesetzt.

Krankheit der Reichen und Mächtigen

Von der Gicht gepeinigt waren rund zwei Drittel der römischen Kaiser. Auch Alexander der Große (356 bis 323 v. Chr.), Kaiser Karl V. (1500 bis 1558), sein Sohn Philipp II. von Spanien (1527 bis 1598), Herzog Albrecht von Wallenstein (1583 bis 1634), der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. (1638 bis 1715) und die Preußenkönige mussten mit dem Zipperlein leben. Weitere Gicht-Patienten waren der Entdecker des Blutkreislaufes William Harvey, der Maler Peter Paul Rubens, die Mathematiker Leibnitz und Newton, Martin Luther, der Dichter Ludwig Tieck und auch Goethe, der, um sich Linderung zu verschaffen, wiederholt nach Karlsbad fuhr.

Dabei fällt Folgendes auf: Die Gicht schien damals nur die Privilegierten und Wohlhabenden zu treffen: Adlige, Geistliche, reiche Bürger, Gelehrte und Künstler. Menschen, die es sich leisten konnten, ausgiebig zu genießen und zu schlemmen. Bei den Armen und Besitzlosen – und das war früher die Mehrheit – trat die Gicht nicht auf. Sie wurden vom Gelenkrheumatismus gequält. Außerdem fällt bei der Gicht auf, dass die Kranken in der Mehrzahl geistig hochstehende Menschen waren. So kam die Gicht im Laufe der Zeit in den Ruf einer standesgemäßen "Berufskrankheit" der oberen Zehntausend. Das Ergebnis: Viele Patienten erfüllte ihre Gicht mit Stolz. Denn die Krankheit zeigte allen, wer die Gicht hatte, gehörte zur Elite und war außerdem noch intelligent. Der berühmte englische Arzt Thomas Sydenham (1624 bis 1689), der mit 30 Jahren seinen ersten Gichtanfall hatte und auch an dieser Krankheit starb, hat eine ausgezeichnete Schrift über die Gicht ("Tractatus de podagra et hydrope") hinterlassen. Er schreibt: "Gicht befällt meistens diejenigen alten Leute, die in früheren Tagen üppig gelebt, bei reichlichen Mahlzeiten dem Wein und anderen Spirituosen stark zugesprochen und schließlich träger geworden, die Leibesübungen vernachlässigt haben, an die sie von Jugend auf gewöhnt waren." Interessant auch Sydenhams Fazit: "Dummköpfe hat die Gicht niemals getroffen." Außerdem unterscheidet Sydenham schon zwischen Gicht und Rheuma.

Ein schmerzhaftes Erbe

Für Medizinhistoriker ist es eindeutig: Preußische Könige und ihre Vorfahren – die brandenburgischen Kurfürsten – wurden vom "Zipperlein" gepeinigt. Denn sie waren fast alle den irdischen Genüssen sehr zugetan. Die Gicht gilt heute als Erbkrankheit des Adelsgeschlechtes derer von Hohenzollern. Die äußerst schmerzhaften Gichtanfälle beeinflussten aber auch das Auftreten und die Handlungsfähigkeit der gekrönten Häupter. Hier nur zwei Beispiele: König Friedrich Wilhelm von Preußen (1688 bis 1740) schuf den berühmten preußischen Militär- und Beamtenstaat und die gefürchtete preußische Armee. Daher auch der Beiname "der Soldatenkönig". So diszipliniert er in den Angelegenheiten des Staates war, so maßlos war Friedrich Wilhelm im Essen und Trinken. Mit 38 Jahren traten die ersten Gichtanfälle auf, die so intensiv waren, dass er zeitweilig ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt war. 1729, also mit 41 Jahren, klagte er: "Denn sterben ist sanfft, aber dieses leiden unertreglich, aber viehisch ist …" Doch trotz häufiger Gichtattacken ergab er sich weiter dem Trunk und der Völlerei. So wog der nur 1,65 m große Mann fast 300 Pfund. Die ständigen Schmerzen verschlimmerten seine Tobsucht und seine plötzlichen Wutanfälle. Seine entsetzliche Prügelsucht, von der er nur seine Offiziere und seine Frau verschonte, kannte keine Grenzen mehr. So machte er sich im Laufe der Zeit bei allen verhasst. Seine letzten zehn Jahre waren reine Leidensjahre. Friedrich Wilhelm regierte im Rollstuhl oder ans Bett gefesselt. 1740 starb er im Alter von 51 Jahren. Sein Tod löste in Berlin viele Tränen aus. Aber es waren Freudentränen, denn endlich war man von dem Tyrannen befreit. Sein Sohn Friedrich II. der Große (1712 bis 1786), ein aufgeklärter Herrscher und genialer Feldherr, schrieb 1746 aus Bad Pyrmont – erst 34 Jahre alt –: "Ich habe die Gicht gehabt; und das ist so sicher, dass ich jetzt noch einen geschwollenen Fuß habe. Das ist vorzeitig." Doch Friedrich der Große war weiterhin dem Essen und Trinken zugetan. Nach dem Siebenjährigen Krieg berichtete er 1763, von vielen Gichtanfällen gequält, der Königin: "Ich werde nicht mehr lange leben, ich gehe schlecht und kann gar keine Treppe mehr steigen." Friedrich probierte viele Medikamente gegen die Gicht, aber ohne Erfolg. Zu den häufigen Gichtanfällen kamen asthmatische Beschwerden. 1786 starb der König.

1797 entdeckte man harnsaure Salze in den Gichtknoten. Aber erst 50 Jahre später wurde die Gicht als Stoffwechselerkrankung eingestuft. Bis dahin glaubte man an eine Störung der Körpersäfte. Heute gilt Gicht als Manifestation einer Hyperurikämie, d. h. der Serumharnsäurespiegel liegt über 6,4 mg/dl. Phytopharmaka aus der Herbstzeitlosen sind wegen der Nebenwirkungen heute nur noch Mittel der zweiten Wahl.



Autor
Ernst-Albert Meyer

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 66-68