Osteoporose ist kein seltenes Krankheitsbild und trifft besonders häufig ältere Personen und/oder solche mit bestimmten Risikofaktoren. Gemäß der S3-Leitlinie der DVO ist eine Basisdiagnostik indiziert bei allen Frauen ab 70 und allen Männern ab 80 Jahren, bei Risikofaktoren wie z. B. Glukokortikoidtherapie, Typ-1-Diabetes oder M. Cushing schon in einem jüngeren Alter. Oberstes Ziel ist es, osteoporotische Frakturen zu verhindern.

Die Osteoporose ist eine multifaktorielle Knochenerkrankung, die die Rarefizierung der Spongiosa des Knochens und im weiteren zeitlichen Verlauf auch die Zunahme der kortikalen Porosität betrifft (Abb. 1). Sie lässt sich grob in eine primäre (idiopathische, senile oder postmenopausale) und eine sekundäre Osteoporose unterteilen.

Die Osteoporose ist weit verbreitet: Über 6 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen, davon rund 1 Million Männer. Jedes Jahr kommen ca. 890.000 Osteoporose-Neuerkrankungen hinzu und über 85 % der Betroffenen erleiden Osteoporose-bedingte Knochenbrüche. Diese osteoporotischen Frakturen gilt es durch rechtzeitige Diagnose und Therapie zu verhindern. Signalfrakturen, als MOF (major osteoporotic fractures) bezeichnet – wie am Wirbelkörper, Schenkelhals, Radius und Humeruskopf –, sind Indikatoren für eine sehr wahrscheinliche Osteoporose. Spätestens dann sollten Patient:innen einer leitliniengerechten Diagnose und einer adäquaten Therapie zugeführt werden.

Die S3-Leitlinie der DVO (Dachverband Osteologie e.V.) ermöglicht evidenzbasiert Patient:innen zu diagnostizieren und zu therapieren. In der Leitlinie nicht berücksichtigt werden Kinder, Jugendliche, prämenopausale Frauen und Männer vor dem 60. Lebensjahr sowie Patient:innen mit höhergradiger Niereninsuffizienz. Die sekundäre Osteoporose mit ihren zugrundeliegenden Grunderkrankungen wird über die Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften abgedeckt (https://dv-osteologie.org/osteoporose-leitlinien).

Die übersichtliche Beschreibung der Zielgruppe der Leitlinie wird nun im Weiteren ausgedehnt bzw. verfeinert, z. B. auf weitere Altersuntergruppen und relevante Risikofaktoren in Bezug auf die Osteoporose. Es gilt das oberste Ziel einer Frakturverhinderung. Maßgeblich ist hier das 20%-Frakturrisiko über 10 Jahre (in Bezug auf Wirbelsäule und Hüfte), um eine Diagnostik einzuleiten. Diese weitreichenden allgemeinen Aussagen werden auf die relevanten Risikofaktoren Alter, Geschlecht, bereits erlittene Knochenbrüche aus geringfügigem Anlass und bekannte Osteoporosefälle in der Familie spezifiziert. Generell wird ab dem 70. Lebensjahr bei Frauen und ab dem 80. Lebensjahr bei Männern eine Basisdiagnostik empfohlen. Eine weitere Indikation zur Basisdiagnostik besteht bei aktuellem oder 1 – 2 Jahre zurückliegendem Frakturrisiko und Konsequenzen für Diagnostik oder Therapie. Risikofaktoren müssen also auch rückwirkend bei Entscheidungen in der Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden.

Dies alles umzusetzen ist gefühlt zeitaufwendig und komplex. Wir brauchen also eine praktikable Einteilung der Risikopatient:innen und der Risikofaktoren laut Leitlinie in der Zeitachse ab der Menopause bzw. dem 50. Lebensjahr und vor dem 70. Lebensjahr bei Frauen bzw. 80. Lebensjahr bei Männern.

Ein Werkzeug zur Arbeitserleichterung kann ein standardisierter Fragebogen sein, der einerseits die Risikofaktoren abfragt und die erhobenen Risikofaktoren zusätzlich markiert, die relevant sind für eine Basisdiagnostik vor dem 70. und 80. Lebensjahr. Dieser Fragebogen kann selbstständig im Wartezimmer und/oder mit der MFA ausgefüllt werden und zum Arztkontakt vorliegen bzw. im Praxisinformationssystem eingegeben sein. Die erhobenen Daten sind ja bei näherer Betrachtung keine unnötigen anamnestischen Zusatzinformationen, sondern auch für die allgemeinmedizinische Betrachtung, Therapie bzw. Begleitung von Patient:innen von Relevanz.

Die Leitlinie (Abb. 2) empfiehlt für Menschen ab 50 Jahren nur dann eine Basisdiagnostik, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Zu diesen Risikofaktoren, die wir bei der Anamnese zur Bestimmung des Osteoporoserisikos erfragen, gehören die mit * markierten Risikofaktoren. Es lässt sich also nicht vermeiden, einen Auszug oder eine Tabelle am Arbeitsplatz zu hinterlegen. Die erwartete neue DVO-Leitlinie wird einen Risikorechner enthalten.

Originalauszug aus der Leitlinie
Risikokonstellationen bei Frauen nach der Menopause und
  • Männern: Basisdiagnostik empfohlen bei Frauen ab 50 Jahren, bei Männern ab 60 Jahren. Bei Kennzeichnung mit *bereits ab Postmenopause bzw. Männern ab 50 Jahren (B/0)
  • Frakturen: Niedrigtraumatische singuläre Wirbelkörperfraktur 2. Grades oder multiple Wirbelkörperfrakturen 1. Grades, sofern andere Ursachen nicht wahrscheinlicher sind* Klinisch manifeste niedrigtraumatische singuläre Wirbelkörperfraktur 1. Grades mit Deckplattenimpression, sofern andere Ursachen nicht wahrscheinlicher sind (ohne Klinik: Einzelfallentscheidung)* Niedrigtraumatische nichtvertebrale Frakturen (mit Ausnahme von Finger-, Zehen-, Schädel- und Knöchelfrakturen)*
  • Endokrinologische Erkrankungen (Kapitel 5.2.1): Cushing-Syndrom und subklinischer Hyperkortisolismus (Kapitel 5.2.1.1)*, primärer Hyperparathyreoidismus (Kapitel 5.2.1.2)*, Wachstumshormonmangel bei Hypophyseninsuffizienz (Kapitel 5.2.1.3)*, männlicher Hypogonadismus (Kapitel 5.2.1.4), subklinische und manifeste Hyperthyreose (Kapitel 5.2.1.5), Typ-1-Diabetes (Kapitel 5.2.1.6)*, Typ-2-Diabetes (Kapitel 5.2.1.7), Hyperthyreosis factitia, sofern persistierend (siehe Kapitel 5.3.12)
  • Rheumatologische Erkrankungen (Kapitel 5.2.2): Rheumatoide Arthritis (Kapitel 5.2.2.1)*, Spondylitis ankylosans (Kapitel 5.2.2.2)*, Systemischer Lupus Erythematodes (Kapitel 5.2.2.3)
  • Gastroenterologische Erkrankungen (Kapitel 5.2.3): Zöliakie (Kapitel 5.2.3.1), B-II-Magenresektion oder Gastrektomie (Kapitel 5.2.3.2)*
  • Neurologische/psychiatrische Erkrankungen (Kapitel 5.2.4): Epilepsie und Antiepileptika (Kapitel5.2.4.1)*, Schizophrenie (Kapitel 5.2.4.2), Apoplektischer Insult (Kapitel 5.2.4.3), Alzheimer-Erkrankung (Kapitel 5.2.4.4), Morbus Parkinson (Kapitel 5.2.4.5), Depression (Kapitel 5.2.4.6)
  • Andere Erkrankungen (Kapitel 5.2.5): Herzinsuffizienz (Kapitel 5.2.5.1), monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (Kapitel 5.2.5.2)*, Alkohol und alkoholische Lebererkrankung (Kapitel 5.2.5.3), Anorexia nervosa (Kapitel 5.1.10), Rauchen und chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) (Kapitel 5.1.10)
  • Frakturrisiken durch eine medikamentöse Therapie (Kapitel 5.3): Hormonablative Therapie, männlicher Hypogonadismus anderer Ursache (Kapitel 5.3.1)*, Aromatasehemmer (Kapitel 5.3.2)*, eine bestehende oder geplante Therapie mit Glukokortikoiden ≥ 2,5 mg/d Prednisolonäquivalent über mehr als 3 Monate (Kapitel 5.3.3)*, hochdosierte Glukokortikoide inhalativ (Kapitel 5.3.3), Therapie mit Thiazolidindionen (Glitazonen) (Kapitel 5.3.4), Medikamente, die Stürze begünstigen (Kapitel 5.3.5), Antidepressiva (Kapitel 5.3.6), Antiepileptika (Kapitel 5.2.4.1), Opioide (Kapitel 5.3.8), Protonenpumpenhemmer bei chronischer Einnahme (Kapitel 5.3.9)
  • Allgemeine Risikofaktoren: Proximale Femurfraktur bei Vater oder Mutter (Kapitel 5.1.5), multiple intrinsische Stürze oder hohes Sturzrisiko (Kapitel5.1.6), Immobilität (Kapitel 5.1.7)
Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose AWMF Registernr. 183-001

Kehren wir nun zum klinischen Alltag zurück.

Klinisches Fallbeispiel 1

Ihre postmenopausale Patientin kommt aus dem Krankenhaus mit einem Knochenbruch, der konservativ oder operativ versorgt wurde. Auch ohne explizite Empfehlung des Krankenhauses ist bis zum Beweis des Gegenteiles an eine Osteoporose zu denken.

Klinisches Fallbeispiel 2

Ihre postmenopausale Patientin oder Ihr 60-jähriger Patient leidet unter vielen internistischen Begleiterkrankungen, wie z. B. Herzinsuffizienz, Typ-1-Diabetes, Rheuma, COPD. Im Medikationsplan finden sich orales oder inhalatives Kortison, Antiepileptika zur Behandlung der Epilepsie oder im Rahmen einer Schmerztherapie sowie eine Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmer. Auch hier sollten Sie sofort an eine mögliche Osteoporose denken.

Weitere Indikationen für eine Basisdiagnostik

Patienten mit Prostatakarzinom, behandelt mit begonnener antiandrogener Therapie, können im Einzelfall, d. h. bei weiteren Risikofaktoren, auch vor dem 70. Lebensjahr einer Diagnostik zugeführt werden. Patientinnen unter Aromatasetherapie sollten einer Basisdiagnostik auch vor dem 60. Lebensjahr zugeführt werden.

Diagnosen mit erhöhtem Risiko für eine Fraktur (Sturzrisiko) sind Depression, Epilepsie, Schlaganfall, Schizophrenie, Alzheimer-Demenz und M. Parkinson.

Sie können nun den Empfehlungen der DVO folgend eine Osteoporose-adaptierte Anamnese, das geriatrische Assessment, die Bildgebung (meistens Röntgenuntersuchungen), aktualisiert um Brust- und Lendenwirbelsäule, ein sogenanntes Osteolabor und die DXA-Messung selbst durchführen oder veranlassen. Die gewonnenen Ergebnisse ermöglichen die leitliniengerechte Entscheidung zu einer Basistherapie mit einer Kalzium-Vitamin-D-Kombination und ggf. zu einer zusätzlichen spezifischen Therapie.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Osteoporose ist häufiger als gedacht. Dem wird in einem beschlossenen DMP auch Rechnung getragen.
  • Nicht nur Frakturen, sondern auch andere häufige Erkrankungen sind mit Osteoporose assoziiert.
  • Sie reduzieren bei Ihren Patient:innen mögliche Behinderungen und senken die Mortalität bei leitliniengerechter Diagnose und Therapie der Osteoporose.
  • Eine abrufbare Liste von zertifizierten Osteolog:innen und Schwerpunktzentren auf der Homepage der DVO steht Ihnen bei der Diagnose und Therapie zur Seite.

Literatur: Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose, Registernummer 183-001 (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/183-001)



Autor

© privat
Dr.med. Jan-Dirk Seifert

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, orthopädische Rheumatologie
Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Alterstraumatologie EVKK
51103 Köln
Interessenkonflikte: Beratertätigkeit für AMGEN, UCB, BMS



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (5) Seite 14-16