Die Betreuung von Schlaganfall-Patient:innen ist auch in der Hausarztpraxis ein Thema. Über Wissenswertes in puncto Diagnostik, Erstmaßnahmen oder Ursachensuche sprachen wir mit Prof. Dr. med. Christina Haubrich, Fachärztin für Neurologie, Neuro Praxis Düsseldorf.

doctors|today: Welche Akutsymptome werden von Betroffenen am häufigsten geschildert und sollten an einen Schlaganfall denken lassen?

Prof. Haubrich: Typische Symptome sind natürlich Lähmungen einer Körperhälfte oder Sprachstörungen. Bei solch eindeutigen Symptomen denken die Patienten allerdings selbst schon meist an einen Schlaganfall und rufen gleich den Rettungsdienst. Das Motto "Time is brain" hat sich inzwischen auch in Laienkreisen herumgesprochen. Aber ein Schlaganfall kann sich zu Beginn auch in Form von Schwindel oder plötzlich aufgetretenen Kopfschmerzen (z. B. bei Subarachnoidalblutungen) oder Bewusstseinsstörungen äußern. Manchmal fällt auch nur den Angehörigen auf, dass der Patient verändert wirkt, im Sinne von Wahrnehmungs- oder Vigilanzstörungen. Dann kann es z. B. sein, dass die Betroffenen sich bei Gesichtsfeldeinschränkungen öfter an Gegenständen stoßen oder beim Autofahren risikoreich zu einer Seite abdriften. Solche Symptome können bei bestimmten Schlaganfallformen, die eben nicht das klassische Mediaterritorium betreffen, auftreten. Daran denken sollte man insbesondere dann, wenn sie sich plötzlich bemerkbar machen. Auch bei umschriebenen plötzlich aufgetretenen Lähmungen sollte man nicht nur auf orthopädische Erkrankungen wie einen Bandscheibenvorfall fixiert sein, sondern auch, spätestens wenn sich keine andere Erklärung findet, nach einem Schlaganfall fahnden.

Es kommt auch vor, dass der Patient seine Symptome gar nicht richtig in Worte fassen kann, sondern nur wahrnimmt, dass irgendetwas anders ist als vorher. Richtungsweisend ist auf jeden Fall der akute Beginn der Symptome.

doctors|today: Wie kann die Hausärzt:in bei Verdacht auf einen Schlaganfall diagnostisch vorgehen? Was ist anamnestisch und an Untersuchungen dann angesagt?

Prof. Haubrich: Auf jeden Fall empfiehlt sich zunächst ein Schnelltest zur Schlaganfallerkennung, damit lassen sich mindestens 90 % der Ereignisse sofort erfassen, die auch akut und schnell versorgt werden müssen. Diesen Test können auch Angehörige nach Anleitung gut durchführen. Gemeint ist der sogenannte FAST-Test, das Akronym steht für Face, Arm, Speech und Time (Übersicht 1).

doctors|today: Wann sollte eine Patient:in sofort auf eine Stroke Unit eingewiesen werden, wann genügt auch eine normale neurologische Ambulanz?

Prof. Haubrich:Wenn seit Beginn der Symptome weniger als 48 Stunden vergangen sind, sollte man den Patienten im Zweifel auf eine Stroke Unit einweisen. Die Stroke Unit hat das Ziel, Hirngewebe, das nicht durchblutet wird, aber noch intakt ist, zu retten. Was die klassischen Maßnahmen wie die systemische Lyse, also die Gabe von rtPA angeht, ist das Zeitfenster allerdings enger und beträgt maximal 4 ½ Stunden. Wenn es sich um einen Verschluss einer hirnversorgenden Arterie durch einen Thrombus handelt, könnte man das Gerinnsel mittels Kathetertechnik auch noch bis zu sechs Stunden nach dem Ereignis auflösen. Diese Zeiträume sind jedoch keine ganz fixen Grenzen, weil es Anhaltspunkte durch MRT-Untersuchungen gibt, dass Zellen der Penumbra – also der Zone, in der die Durchblutungsstörung aufgetreten ist, die Zellen aber noch nicht untergegangen sind – auch noch jenseits dieser Grenzen rettbar sind. Je länger das Ereignis zurückliegt, desto eher würde man sich für eine elektive Abklärung entscheiden. Aber auch damit sollte man sich dann höchstens wenige Tage und nicht etwa Wochen Zeit lassen. Denn auch bei einem Insult, der schon drei bis vier Wochen zurückliegt, besteht das Risiko, dass es sich um einen Vorboten handelt und ein erneuter Schlaganfall innerhalb der nächsten Wochen eintritt. Das diagnostische Basisprogramm in der Klinik besteht dann aus einer Bildgebung des Kopfes, Langzeit-EKG, Echokardiographie sowie Doppler- und Duplexsonographie der hirnversorgenden Arterien. In diesem Fall braucht es aber keine Stroke Unit, dann würde eine neurologische Ambulanz inklusive ambulanter kardiologischer Diagnostik ausreichen.

doctors|today: Was ist zu tun, wenn die nächste Stroke Unit mehrere Fahrstunden entfernt ist, die nächste neurologische Abteilung aber nur zehn Minuten?

Prof. Haubrich: Im Zweifel ist es dann wichtiger, den Patienten schnellstmöglich akut versorgen zu können. Wenn die zehn Minuten entfernte Klinik die Möglichkeit hat, eine Lyse und ein CT zum Ausschluss einer Blutung durchzuführen, dann wäre sie die bessere Wahl.

doctors|today: Welche Patient:innen sind besonders gefährdet, einen Schlaganfall zu entwickeln?

Prof. Haubrich: Risiken für einen Schlaganfall sind beispielsweise Rhythmusstörungen oder Vorhofflimmern. Auch Patienten, die gleichzeitig unter Hypertonie, Diabetes mellitus, Übergewicht und Schlafapnoe leiden, sind vermehrt gefährdet. Außerdem gibt es neurologische Risikofaktoren wie Stenosen von Hirngefäßen. Wenn Patienten eine Verengung der Karotis von mehr als 60 % haben, ist dies daher eine Indikation für eine Operation. Auch bei jungen Patienten, die schon einmal einen Schlaganfall erlitten haben – beispielsweise durch eine Karotisdissektion –, besteht ein höheres Risiko, dass es noch einmal zu einem solchen Ereignis kommt. Auch Patienten mit einer Vaskulitis gehören zu den Risikokandidaten.

doctors|today: Außer dem Wählen von 112 – welche Erstmaßnahmen sollten Hausärzt:innen, vor allem, falls längere Wartezeiten zu erwarten sind, durchführen?

Prof. Haubrich: In der Zeit, in der man auf den Notarzt wartet, kann man gerne schon einmal den Blutdruck, den Blutzuckerwert und evtl. die Sauerstoffversorgung messen. Ob dann noch Zeit für ein EKG bleibt, sei dahingestellt, denn das macht jeder Notarzt im Wagen selbst. Da man zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ob es sich um eine Blutung oder um eine Ischämie handelt, sollte man einen hohen Blutdruck zunächst sicherheitshalber nicht senken, d. h. ein Druck von maximal 180/110 mmHg wäre tolerabel. Das sind allerdings grobe Schätzwerte. Wir haben bisher noch keine Möglichkeiten, die individuelle Bedarfssituation abzuschätzen, also etwa zu bemessen, ob die Autoregulation des Gehirns im akuten Schlaganfallgeschehen vielleicht einen höheren Blutdruck nötig macht oder auch einen niedrigeren Blutdruck erlaubt. Bei sehr hohen systolischen Werten um die 200 mmHg sollte man aber schon eine medikamentöse Blutdrucksenkung anstreben, am besten intravenös, z. B. mit Urapidil. Die Blutzuckermessung ist insbesondere bei Diabetikern wichtig, um eine Hyperglykämie oder eine Unterzuckerung nicht zu übersehen. Zudem spielt die Körpertemperatur eine Rolle bei der Erhaltung der Penumbra, also bei Zellen, die eigentlich noch einen intakten Stoffwechsel haben. Es ist daher wichtig, bestehendes Fieber frühzeitig zu senken, weil bei erhöhter Körpertemperatur mehr Laktat gebildet wird und die Versorgung von Hirnnervenzellen entsprechend schlechter wird. Man versucht also, den Stoffwechsel über alle zugänglichen Wege zu optimieren: Zucker, Blutdruck, Sauerstoffversorgung plus Körpertemperatur.

doctors|today: Gibt es auch Dinge, die die erstversorgende Ärzt:in tunlichst unterlassen sollte?

Prof. Haubrich: Ja, man sollte z. B. ASS oder Antiarrhythmika nicht akut geben, ebenso wenig wie Betablocker oder sedierende Medikamente. Auch mit der Gabe von Sauerstoff sollte man vorsichtig sein, weil man bei einer höheren Dosis ab ca. 7 Litern aufwärts manchen Patienten, z. B. solchen mit COPD, den Atemantrieb nehmen würde. Bei der Sauerstoffgabe sollte man sich daher erst mal auf zwei bis drei Liter beschränken. Auch auf die Verabreichung von Medikamenten sollte man – abgesehen von solchen zur Senkung eines massiv erhöhten Blutdrucks oder Blutzuckers – besser verzichten.

doctors|today: Wie kann die Hausärzt:in dazu beitragen, der Ursache des Schlaganfalls im Nachhinein auf die Spur zu kommen, um nachfolgende weitere Ereignisse zu verhindern?

Prof. Haubrich: Das ist in der Tat eine wichtige Frage. Denn man muss wissen, dass sich derzeit ein sehr großer Teil der Schlaganfälle ursächlich nicht klären lässt, dies ist der Fall bei 45 % der Schlaganfälle großer Gefäße und bei einem Drittel der ischaemischen Schlaganfälle (Abb. 1). Man kann nur vermuten, dass die Hälfte dieser noch kryptisch bleibenden Schlaganfallursachen einem kardioembolischen Geschehen zuzuordnen ist und die andere Hälfte wahrscheinlich einer Veränderung der Gefäße selbst. Hier können die Hausärzte einen wertvollen Beitrag leisten, da sie im Vergleich zu den Kollegen in der Klinik i. d. R. einen Informationsvorsprung haben. Wichtig wären z. B. Angaben zur Anamnese (z. B. Episoden von Vorhofflimmern, Operationen), zur aktuellen Medikation, zu Unverträglichkeiten, Gerinnungsstörungen bzw. einer bestehenden Antikoagulation, besonderen Lebenssituationen, die den Schlaganfall gerade jetzt begünstigt haben könnten, zu bestehenden Tumorerkrankungen, Substanzmissbrauch oder Ähnlichem. Bestenfalls sollten die Kollegen auf der Stroke Unit diese Informationen so schnell wie möglich erhalten, während der Patient dort versorgt wird. In der Regel beträgt dieser Zeitraum 72 Stunden.

Das Interview führte Dr. med. Vera Seifert

Wichtig für die Sprechstunde
  • Die wichtigste Erstmaßnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist die Verständigung des Rettungsdienstes
  • Als Schnelltest empfiehlt sich der FAST-Test.
  • Bei genügend Zeit sollten Blutdruck, Blutzucker und Körpertemperatur bestimmt werden
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Expertin

Prof. Dr. med. Christina Haubrich

Neuro Praxis Düsseldorf,
40217 Düsseldorf
Interessenkonflikte: Die Expertin hat keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (2) Seite 41-43