Kaum eine Gruppe von Arzneimitteln wird hinsichtlich ihrer Anwendung so kontrovers diskutiert wie Psychopharmaka. Unstrittig ist jedoch auch, dass Psychopharmaka wirken, hinsichtlich ihrer Effektstärken vergleichbar sind mit internistischen oder allgemeinmedizinischen Pharmaka [1]. Trotzdem rücken Psychopharmaka oftmals in den Fokus, weil sie alleine oder in Wechselwirkung mit anderen Pharmaka mitunter erhebliche Nebenwirkungen erzeugen können. Das frühzeitige Erkennen und das Management von Arzneimittelnebenwirkungen spielen daher eine wichtige Rolle.
Die Verordnung von Psychopharmaka hat sich in den letzten Jahren verändert. So stiegen die "defined daily doses", DDD, also definierte Tagesdosierungen, von Antidepressiva in den letzten zehn Jahren um mehr als 40 %. Getragen wurde dieser Anstieg vor allem von einer weiteren Zunahme der Verordnung von selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI). Gleichzeitig stieg auch die Verordnung der atypischen Antipsychotika, die zunehmend auch außerhalb der ursprünglichen Indikationen verordnet werden [2]. Inwieweit steigende Verordnungszahlen durch die Indikationsausweitungen einzelner Stoffgruppen oder durch einen Trend zur Dauertherapie bedingt sind, ist Gegenstand der aktuellen Diskussion. Insbesondere rückte das Thema Absetzen von Psychopharmaka in den Fokus. So führt der Langzeitgebrauch von Psychopharmaka oft zu Polymedikation, womit sich das Risiko für pharmakodynamische und pharmakokinetische Arzneimittelinteraktionen erhöht. Unweigerlich steigt damit die Gefahr von Nebenwirkungen [3]. Als pharmakodynamische Arzneimittelinteraktionen bezeichnet man dabei solche Wechselwirkungen, die sich durch ähnliche Wirkeigenschaften ergeben. Pharmakokinetische Wechselwirkungen betreffen die wechselseitige Beeinflussung der Prozessierung eines Medikamentes im Körper, die Phasen Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion eines Arzneistoffs.
Wirkung und Nebenwirkung einer Psychopharmakotherapie
Die physikochemischen Eigenschaften eines Pharmakons begründen Wirkung und Nebenwirkungen. SSRI binden mit hoher Affinität an den Serotonin-Rückaufnahmetransporter, wodurch die antidepressive Wirkung entfaltet wird. Affinitäten zu anderen Rezeptoren, im Falle von Paroxetin beispielsweise zum muskarinergen Acetylcholinrezeptor, führen durch dessen Blockade zu anticholinergen Effekten wie Müdigkeit, Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen, Verwirrtheit oder Verstopfung. Trizyklische Antidepressiva, die aufgrund ihrer Molekülstruktur ein hohes Bindungspotenzial zu sehr unterschiedlichen Rezeptoren und Transportern aufweisen, verfügen dadurch über ein sehr hohes Nebenwirkungspotenzial. Die Bindung an den α1-Adrenozeptor kann zu Schwindel und orthostatischer Hypotonie führen, die Bindung an den Histamin-H1-Rezeptor wird für Gewichtszunahme und Müdigkeit verantwortlich gemacht.
Antipsychotika, also Psychopharmaka, die ihren primären Einsatz bei der Behandlung von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis haben, entfalten Wirkung und Nebenwirkung einerseits ebenfalls durch ihre individuellen physikochemischen Eigenschaften, andererseits durch ihre in den meisten Fällen blockierenden Wirkungen an dopaminergen D2/D3-Rezeptoren. Durch eine Blockade von Dopaminrezeptoren im mesolimbischen System unterdrücken Antipsychotika Positivsymptome wie Wahn, Halluzinationen oder Ich-Störungen. Die Blockade von Dopaminrezeptoren im nigrostriatalen System erzeugt extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen wie Akathisie oder Parkinsonismus, im tuberoinfundibulären System kommt es zu einem Prolaktinspiegelanstieg mit den unerwünschten Arzneimittelwirkungen Galaktorrhoe, Amenorrhoe oder Libidostörungen. Schließlich führt die Blockade dopaminerger Neurone im mesokortikalen System zu einer Verstärkung von Negativsymptomen wie Apathie, Affektverflachung oder zu einem zunehmenden sozialen Rückzug. Neben diesen durch die direkte Blockade dopaminerger Neurotransmission entstehenden Nebenwirkungen ist es die Bindung an andere Rezeptoren, die das Nebenwirkungsspektrum begründet. Während Antipsychotika aus der Gruppe der Butyrophenone wie Haloperidol relativ selektiv und beinahe ausschließlich den Dopamin-D2-Rezeptor blockieren, blockiert beispielsweise Risperidon in hohem Ausmaß den α1-Adrenozeptor, was zu einer orthostatischen Hypotonie mit der Gefahr einer Sturzneigung insbesondere bei älteren Patient:innen führen kann. Zu den extrapyramidalmotorischen Störungen gehören auch Schluckstörungen, die wiederum die Gefahr von Aspirationspneumonien mit sich bringen können und daher insbesondere bei älteren Patient:innen gefürchtet sind.
Wertvolle Informationen zu Indikation, Dosierung, Neben- und Wechselwirkungen oder Gegenanzeigen bietet die jeweilige Fachinformation eines gewählten Präparates. Jedoch sind auch hierbei Aktualisierungen zu beachten. Vor dem europäischen Harmonisierungsprozess zu Haloperidol im Dezember 2017 wurde Haloperidol in der Indikation eines akuten und chronischen schizophrenen Syndroms mit einer Startdosis von 5 bis 10 mg pro Tag, einer Gesamttagesdosis bis 30 mg und in extremen Ausnahmefällen mit einer Steigerung bis zu 100 mg empfohlen. Mittlerweile ist klar, dass deutlich geringere Dosierungen ausreichen [4]. Nun werden Anfangsdosen ab 1 mg bis zu zweimal täglich bis zu einer Tagesdosis von 10 mg (Tageshöchstdosis 20 mg) empfohlen. Tagesdosen über 10 mg zeigten bei den meisten Patient:innen im Vergleich zu niedrigeren Dosen keine bessere Wirksamkeit, können jedoch zu einer erhöhten Inzidenz von extrapyramidalmotorischen Symptomen führen.
Trizyklische Substanzen, zu denen auch die beiden atypischen Antipsychotika Quetiapin und Olanzapin gehören, sind pharmakologisch "dreckige" Substanzen, die aufgrund ihrer mannigfaltigen Rezeptoraffinitäten ein sehr breites Spektrum an Nebenwirkungen erzeugen.
Bei der Kombination verschiedener Pharmaka, egal ob diese z. B. im Rahmen einer Augmentationsstrategie zur Behandlung depressiver Störungen erfolgt oder im Rahmen der Behandlung von Erkrankungen unterschiedlicher Fachbereiche (somatisch – psychiatrisch), kann es aufgrund unterschiedlicher pharmakodynamischer Eigenschaften sowohl hinsichtlich der intendierten Wirkung als auch hinsichtlich eventueller Nebenwirkungen zu einer Verstärkung, einer Abschwächung, einer Erweiterung oder einer Veränderung kommen. Die Kasuistik 1 zeigt die Effekte pharmakodynamischer Wechselwirkungen.
Spätestens seit Veröffentlichung des Rote-Hand-Briefs zu Escitalopram im Jahr 2011 ist Vorsicht geboten bei der gleichzeitigen Anwendung von Escitalopram mit anderen Arzneimitteln, die bekannterweise das QT-Intervall verlängern, gemäß den Vorgaben des Rote-Hand-Briefs ist die Kombination sogar kontraindiziert.
Therapeutisches Drug-Monitoring: Risikokontrolle und Therapieoptimierung
Ein Instrument zur Steuerung von Wirkung und Vermeidung von Nebenwirkung ist das Therapeutische Drug-Monitoring (TDM). TDM bedeutet Dosisoptimierung durch Quantifizierung von Medikamentenkonzentrationen im Blut als Werkzeug einer individualisierten Psychopharmakotherapie [5].Die Aufgabe von TDM ist es, herauszufinden, ob für die Therapie einer Patient:in eine individuell wahrscheinlich wirksame Dosis ausgewählt wurde, bei der mit therapeutischem Ansprechen gerechnet werden kann und das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen minimal ist.
Die angestrebten Wirkstoffkonzentrationen des Psychopharmakons im Blut basieren auf dem Konzept des "therapeutischen Referenzbereichs". Man geht davon aus, dass es für therapeutische und toxische Wirkungen jeweils eine minimal effektive Konzentration gibt. Der Bereich zwischen beiden Konzentrationen wird als therapeutischer Referenzbereich einer Substanz definiert.
Dosis, Konzentration und Effekt spielen eine entscheidende Rolle auf dem Weg von empirischen hin zu maßgeschneiderten Dosierungsstrategien. Hierbei kann das Management von Nebenwirkungen manchmal ganz einfach sein, wie Kasuistik 2 zeigt.
Schließlich erfordert die oftmals zu beobachtende Gewichtszunahme ein aktives Nebenwirkungsmanagement. Hier gilt es, frühzeitig durch intensives Monitoring metabolischer Veränderungen gegenzusteuern. Als Anhaltspunkt für eine signifikante Gewichtszunahme gilt beispielsweise eine Erhöhung von mehr als 7 % des Körpergewichts unter Antipsychotikatherapie, also etwa 5 kg bei einem Ausgangsgewicht von 75 kg bzw. bei einem BMI von 30 kg/m2 als diagnostischer Hinweis auf das Vorliegen einer Adipositas.
Wichtig sind hier vor allem diätetische Maßnahmen und allgemeine Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wie körperliche Aktivität, Sportprogramme oder Verhaltensmodifikationen [6]. Der Prävention durch Auswahl des geeigneten Antidepressivums oder Antipsychotikums und regelmäßigen Gewichtskontrollen kommt eine besondere Bedeutung zu. Verhaltenstherapeutisch orientierte Maßnahmen sind sowohl zur Prävention als auch zur Therapie von Gewichtszunahmen unter Psychopharmaka geeignet. Bei nicht akzeptablen Gewichtszunahmen, die sich unter Dosisoptimierung, diätetischen sowie verhaltensorientierten Maßnahmen nicht zurückbilden, muss eine Umstellung auf ein Psychopharmakon mit geringerem Risiko für Gewichtszunahmen oder eine medikamentöse Begleittherapie erwogen werden. Die verfügbaren medikamentösen Begleittherapien sind jedoch wahrscheinlich nicht in der Lage, größere Gewichtszunahmen komplett umzukehren. Die von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zugelassenen Substanzen zur Gewichtsreduktion wie die Kombinationspräparate aus Phentermin/Topiramat, Naltrexon/Bupropion sowie die beiden Einzelsubstanzen Liraglutid und Orlistat erreichen im Vergleich mit Placebo zwar Gewichtsreduktionen, diese liegen aber allesamt unter 10 % des Ausgangsniveaus [8, 9].
Sexuelle Funktionsstörungen können sowohl im Rahmen bestehender psychischer Erkrankungen auftreten als auch die direkte Folge des Einsatzes von Psychopharmaka sein. Durch Antidepressiva induzierte sexuelle Funktionsstörungen sind sehr häufig (50 % der Fälle) und gehen mit Einschränkungen von Lebensqualität, Selbstwertgefühl, Stimmung und Beziehungsqualität einher [10]. Es hat sich ein abgestuftes Vorgehen etabliert, das sich im Spektrum zwischen Beratung und Abwarten, Dosisreduktion bzw. Umstellung bis hin zur Gabe eines Pharmakons zur Neutralisierung oder Behandlung der pharmakogenen sexuellen Funktionsstörung bewegt.
Sexuelle Funktionsstörungen unter Antipsychotika sind ebenfalls sehr häufig. Verantwortlich hierfür ist vor allem deren direkte Dopamin-D2-antagonistisch vermittelte Prolaktinerhöhung. Auch hier hat sich ein gestuftes Vorgehen mit eingehender Beratung und Abwarten, ein Versuch der Dosisreduktion bis hin zu einer Umstellung auf ein Anti-
psychotikum mit einer geringeren Gefahr einer Prolaktinspiegelerhöhung als sinnvoll erwiesen [10].
Zusammenfassung
Ein aktives Nebenwirkungsmanagement richtet sich nach den zu erwartenden Nebenwirkungen wie QTc-Prolongation, Gewichtszunahme, extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen, anticholinergen Wirkungen oder sexuellen Funktionsstörungen. Daneben gibt es eine Reihe kardiometabolischer Nebenwirkungen einer Psychopharmakotherapie zu beachten wie Gewichtszunahme, Dyslipidämie wie Hypertriglyceridämie oder Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus oder Insulinresistenz, Blutdruckveränderungen. Gefordert ist hier ein wachsames Auge und der intensive Austausch zwischen Psychiater:innen, Hausärzt:innen und anderen Fachdisziplinen.
- Vermeidung von Nebenwirkungen bedeutet allem voran das Vermeiden von Polypharmazie.
- Ein wichtiges Instrument zur Steuerung von Wirkung und Vermeidung von Nebenwirkung ist das Therapeutische Drug-Monitoring (TDM).

PD Dr. Michael Paulzen
Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (8) Seite 46-49