Waren die Patient:innen früher angenehmer? Pflegeleichter? Geduldiger? Wie auch immer: Wir kommen nicht umhin, sie zu nehmen, wie sie sind. Dabei kann die Wahrnehmung, wie man über eine Patient:in denkt, einen entscheidenden Unterschied machen.

Eine positive Einstellung, auch bei schwierigen Patient:innen, führt zu mehr Gelassenheit und erleichtert den Praxisalltag erheblich. Es kann helfen, die unterschiedlichen Patiententypen zu erkennen und ihnen taktisch zu begegnen.

Patiententypus "Besserwisser"

Über alles können sich Patient:innen im Netz informieren, der Einfluss der Medien ist groß. Es gibt Reportagen im Fernsehen, die Informationsflut im Internet gleicht einem Tsunami und kann verunsichern. Patient:innen können sich auch im Netz untereinander austauschen, wenn sie ihre Erfahrungen online stellen. Es ist nicht grundsätzlich schlecht, wenn Betroffene sich vorinformieren, problematisch ist es, wenn sie hartnäckig an ihren Meinungen festhalten und sich beratungsresistent verhalten. Dann treten sie oftmals als Besserwisser auf. Sie wünschen sich eine positive Aufnahme ihrer Meinung und sind enttäuscht, wenn die Ärzt:in direkt widerspricht oder Informationen anzweifelt. Die mündige Patient:in möchte mitentscheiden.

Will die Ärzt:in überzeugen, braucht sie neben einer guten Kommunikationsfähigkeit auch Zeit für das Gespräch − aber das lohnt sich dann auch! Nur die detaillierte Erklärung macht die Situation für die Patient:innen transparent. Sie brauchen ausreichend Informationen, damit es ihnen rational und emotional unmöglich wird, weiterhin ihre Meinung aufrechtzuerhalten.

Praxistipp: 1-zu-1-Regel

Eine Korrektur der Patientenmeinung benötigt als Ausgleich eine Anerkennung im späteren Verlauf. Man bezeichnet es als die "1-zu-1-Regel", wenn auf eine Korrektur der Patient:in (Minus) eine Zustimmung der Ärzt:in (Plus) folgt. Damit bleibt das gute Gesprächsklima erhalten. Korrekturen werden kurz gehalten, die Anerkennung der Patientenmeinung darf etwas länger ausfallen. Man kann Patient:innen auch darin bestätigen, dass sie sich informiert haben, ohne ihnen in der Sache recht zu geben. Der direkte Widerspruch ist damit vermieden.

Patiententypus "Schwindler"

Dass Patient:innen ihrer Hausärzt:in nicht immer die Wahrheit sagen, dürfte nicht überraschen. Schon eher, wenn das Gegenteil der Fall wäre. Patient:innen mogeln, weil sie den Tatbestand nicht wahrhaben wollen. Oder sie schämen sich, weil ihnen z. B. das Thema unangenehm bis peinlich ist. Was für die medizinische Fachkraft selbstverständlich ist, empfinden Patient:innen auch mal als schambesetzt. Das betrifft oft männliche Patienten im Gespräch mit einer Ärztin oder MFA. Selbstverschuldete Probleme werden erst einmal verschwiegen. Man wird nicht gerne "verurteilt" wegen ungesunder Lebensweise wie z. B. Rauchen.

Praxisbeispiel: Lebensweise

Bei der Frage nach der Lebensweise der Patient:in ist die Antwort oft eine Mogelpackung. Im Fragebogen für Erstpatient:innen wird bei den Antworten geschwindelt, übertrieben oder etwas ganz verschwiegen. Als Ärzt:in kann man sich nicht immer auf diese Angaben verlassen. "Ein erfahrener Arzt erkennt Mogeleien, zeigt sich menschlich und macht es dem Patienten leichter, bei der Wahrheit zu bleiben", so Prof. Dr. med. Tobias Esch vom Department für Humanmedizin an der Universität Witten/Herdecke.

Patiententypus "Angsthase"

Es sind nicht nur die Ängste z.B. wegen individueller Sorgen oder Schmerzen, auch die Ergebnisse einer Untersuchung können Patient:innen Angst machen. Angstfreier Zustand wiederum kann Immunabwehr und Resilienz stärken und kann Schmerzen lindern. Wer seine Ängstlichkeit erkennt und in den Griff bekommt, leidet weniger und geht tendenziell weniger leichtfertig mit der eigenen Gesundheit um. Das Gegenteil, das natürlich auch vorkommt, ist die gleichgültige Patient:in. Sie macht sich keine Gedanken, drückt sich um die Vorsorge und greift bei Schmerzen zu Tabletten. Das führt dazu, dass sie sich vor dem Arztbesuch drückt und Vorsorge- oder Kontrolltermine verschiebt bzw. absagt.

Praxistipps:

  • Beruhigungsappelle sind nicht immer wirksam, die Schmerzangst der Betroffenen kann man emotional mit Anteilnahme besser beantworten: "Ich weiß, das ist jetzt unangenehm, aber Sie schaffen das." Weiß die Patient:in darüber hinaus, dass es anderen auch so geht, fühlt sie sich nicht isoliert. Zum Thema Schmerzen kann man Informationen mitgeben, wie man schon vor einer Behandlung entspannt und sich damit mental gut vorbereiten kann.
  • Es ist günstig, Gefühle vorwegzunehmen ("Antizipation negativer Gefühle"). Statt zu warten, bis die Patient:in ihre Befürchtungen zum Ausdruck bringt, spricht die Ärzt:in das Thema im Vorfeld an. Nach einer unangenehmen Untersuchung ist positives Feedback angebracht, Anerkennung schafft Mut und Selbstvertrauen. Längeres Schweigen, wenn die Ärzt:in z.B. die Untersuchungsergebnisse oder das Röntgenbild betrachtet, kann ängstliche Menschen belasten. Patient:innen interpretieren auch die Mimik und Gestik des Gegenübers, im Zweifelsfall lesen sie darin etwas Negatives.

Auf den inneren Navigator hören

Trifft man auf schwierige Patient:innen, kann "Selbstkommunikation" helfen. Man gibt sich selbst die Anweisung, eine unangenehme Situation zu akzeptieren, die eigenen Gefühle zu beherrschen und auf Gelassenheit zu achten. Schon die Gedanken, dass Patient:innen immer schwieriger werden, dass immer mehr Einsatz verlangt wird, verursachen eine kritische Einstellung. Je früher man negative Gedanken erkennt, desto einfacher wird es, positiv zu bleiben.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Unangenehme Gespräche als normal betrachten.
  • Auf extreme Patientenmeinungen gelassen reagieren.
  • Empathie ist ein wichtiger Helfer, um Patient:innen zu verstehen.
  • Patientenmeinungen nur aktiv korrigieren, wenn nötig.



Autor

Rolf Leicher

Dipl. Betriebswirt
Fachautor für Betriebs-, Personalführung und Marketing
69118 Heidelberg



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (12) Seite 50-51