Die Vorbehalte von Ärzteseite sind nur allzu verständlich, schließlich hat beim aktuellen Stand der ePA niemand einen wirklichen Mehrwert.

Derzeit enthält die ePa lediglich eine Auflistung der Abrechnungsdaten der KK, während medizinisch relevante Informationen wie Röntgenbilder, detaillierte Befunde oder Laborergebnisse fehlen.

Im März kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an, dass er eine beschleunigte Digitalisierung des Gesundheitssystems vorantreiben werde. Ein Ergebnis davon ist, dass die ePA als Opt-out-Variante eingeführt wird und bis 2024 in die Dateninfrastruktur von Kliniken und Arztpraxen implementiert sein muss. Laut einer Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller von August 2022 sehen 74 % der Deutschen die ePA als nützliches Instrument, das ihre Versorgungssituation verbessern kann. Allerdings sind Ärzt:innen bisher zurückhaltend. Seit der freiwilligen Einführung zum 1.1.2021 nutzen sie nur 6 % und nur etwa 27 % der Ärzt:innen sind der Meinung, dass sie den Informationsfluss im Diagnoseverfahren verbessern kann.

Bis 2026 soll die ePA nun allerlei Zusatzfunktionen bekommen – staatlich gesprochen: "entwickelt". Doch die bisherigen Erfahrungen mit diesem Modell lassen nichts Gutes ahnen. Für nutzerfreundliche Dienste ist der Staat nicht gerade bekannt – und erst recht nicht dafür, sie rasch zur Verfügung zu stellen. Ein anderes Modell wäre deutlich geeigneter: Man sollte es dabei belassen, für die ePA nur die technische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, also Dinge wie die Datenspeicherung und Standards für den Datenaustausch. Diese können dann privatwirtschaftliche Unternehmen nutzen, um anwenderfreundliche Dienste zu programmieren – sei es für Patient:innen, Ärzt:innen oder andere Leistungserbringer.

Lieber Infrastruktur als Plattform

Vergleichbar wäre das dadurch zu erreichende System mit einem Straßennetz: Der Staat baut und unterhält es und legt die Nutzungsregeln fest. Aber nicht, wie die darauf fahrenden Autos aussehen und welche Läden sich an seinen Rändern niederlassen. Dadurch entsteht eine fruchtbare Ergänzung von staatlicher Infrastruktur für Gesundheitsdaten und darauf aufbauender Services, wie folgende Beispiele zeigen.

Die kurzfristigen Maßnahmen des Staates beinhalten das digital unterstützte Medikationsmanagement. Bis Ende 2025 sollen demnach 80 % der ePA-Nutzer mit mindestens einem Arzneimittel über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Mit ihr können behandelnde Ärzt:innen sowie Apotheker:innen eine schnelle und aktuelle Übersicht über die Polypharmazie erhalten. Das ist essenziell: Laut einer Erhebung der Barmer Krankenkasse von 2022 können jährlich rund 70.000 Todesfälle unter Polypharmazie-Patient:innen mit einem digitalen Medikationsmanagement vermieden werden. Aber warum so lange warten? Die Medikationsmanager von Gesundheitsunternehmen sind schon heute nutzbar. Der staatliche Fokus sollte darauf liegen, das eRezept flächendeckend einzuführen, um die daraus entstehenden Daten in der ePA zur Verfügung zu stellen – damit privat entwickelte Medikationspläne darauf zurückgreifen können.

Digitale Symptomchecker auf Basis eines Entscheidungsbaumalgorithmus können die persönliche Ersteinschätzung von Ärzt:innen nicht ersetzen. Allerdings können sie als Erstanlaufstelle für Betroffene wichtige Infos zur Symptomatik sammeln. So können sich die Mediziner:innen schon vor der Konsultation einen ersten Überblick verschaffen. Zudem können Symptomchecker eine Vordiagnose erstellen, an der sich Ärzt:innen orientieren können. Heutige Tools sind schon jetzt gut für die Ersteinschätzung, mit dem Zugriff auf die Krankheitsgeschichten der Nutzer könnten sie deutlich verbessert werden. Doch der Staat hat eine Integration von Symptomcheckern in die ePA bislang gar nicht vorgesehen! Dabei ist ihr Nutzen unbestreitbar: Mediziner:innen haben im Schnitt ca. acht Minuten Zeit für die Erstellung einer Diagnose unter Anbetracht der gesamten Gesundheitsgeschichte. Symptomchecker können die Komplexität der Entscheidungen unter Zeitdruck entzerren.

Integrierte Videosprechstunde: Zwar setzt der Staat schon kurzfristig auf die telemedizinische Versorgung, die Integration einer Videosprechstunde in die ePA ist bislang aber nicht geplant. Dabei läge der größte Mehrwert in folgendem Szenario: Die Laborergebnisse einer Blutuntersuchung werden den Patient:innen direkt in die ePA gespielt. Anstelle eines physischen Termins können sie direkt über die ePA ein Videogespräch bei ihrer Praxis anfordern, um die Laborergebnisse zu besprechen. Einige gute Gesundheitsplattformen bieten die Arzt-Patienten-Kommunikation in der integrierten Versorgung bereits an. Das fördert die Adhärenz und den Therapieerfolg, denn Patient:innen erfahren, dass sie sich aktiv an ihrem Genesungsprozess beteiligen können. Aufseiten des medizinischen Personals spart es Zeit und Mediziner:innen können sich auf die Fälle konzentrieren, die physischer Behandlung bedürfen.


Eine Typ-A-Dissektion (Einriss der inneren Wandschicht der Aorta) z. B. kann unbehandelt binnen weniger Stunden tödlich sein. Leider können Notfallmediziner:innen die Aortendissektion leicht als Herzinfarkt fehlinterpretieren. Eine daraus resultierende falsche Erstbehandlung kostet wertvolle Zeit, kann den Zustand der Patient:innen schlimmstenfalls sogar verschlechtern. Schnell verfügbare Infos über bereits identifizierte Aortenerkrankungen oder andere Vorerkrankungen der Patient:in können die Diagnose und Ersttherapie deshalb entscheidend verbessern. Die in der ePA hinterlegten Daten könnten z.B. in Form eines Notfallstickers zur Verfügung gestellt werden. Nutzer könnten diesen Sticker auf ihr Smartphone kleben, Motorradfahrer:innen auf ihren Helm. Der Sticker trägt einen QR-Code, über ihn kann jede Ersthelfer:in alle lebenswichtigen Informationen abrufen. Das Deutsche Herzzentrum Berlin z. B. bietet in Kooperation mit dem Gesundheitskonto bei DoctorBox bereits solche Notfallsticker an.

Fazit: Die Digitalisierungsstrategie des Bundes tut ihr Bestes, um den veränderten Anforderungen von Patient:innen gerecht zu werden und die drohende Versorgungslücke — bedingt durch den Ärztemangel — aufzufangen. Genauso wichtig ist es, die Beteiligten nicht mit einem Sammelsurium an einzelnen Gesundheitsapps zu konfrontieren. Wir brauchen Angebote, die möglichst alles bündeln. Gesundheitsplattformen sind hier auf einem guten Weg. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems würde auf diesem Wege einen großen Schritt vorankommen, wenn der Staat nicht alles alleine macht, sondern die ePA Schnittstellen für Gesundheitsanwendungen der Privatwirtschaft bekommt.


Literatur:
3. Studie: International variations in primary care physician consultation time: a systematic review of 67 countries, Greg Irving et al, 2017:


Autor

© privat
Priv. Doz. Dr. med. Oliver Miltner

Orthopäde und Gründer von DoctorBox



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 22-23