Idyllische Dörfer mit hübschen Fachwerkhäusern und kulinarische Genüsse wie der Elsässer Flammkuchen: Beim ersten Gedanken an die östlichste Region Frankreichs fallen einem meist diese Punkte ein, die das Elsass berühmt gemacht haben. Dabei hat die Region auf der anderen Rheinseite noch viel mehr zu bieten. Ob lebendige Städte, urige Dörfer oder unberührte Natur: Das Elsass zeigt sich vielfältig.

Einer der bekanntesten Elsässer ist der 1875 geborene Arzt, Philosoph, Musiker, Friedensnobelpreisträger und Humanist Albert Schweitzer. Seine Kindheit verbrachte er zum Großteil im elsässischen Münstertal, genau genommen im Ort Gunsbach, wo sein Vater Ludwig Schweitzer 50 Jahre lang als evangelischer Pfarrer tätig war. In der Gunsbacher Simultankirche lernte der junge Albert das Orgelspiel.

Ins Leben von Albert Schweitzer eintauchen

Als Albert Schweitzer im August 1928 den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhielt, kaufte er von dem Preisgeld ein Haus in der Rue de Munster 8 in Gunsbach. Wenn er sich nicht in Lambarene aufhielt, einem Ort im heutigen Gabun, dem damaligen Französisch-Äquatorialafrika, wo er seit 1913 ein Urwaldkrankenhaus betrieb, weilte er häufig hier. Heute befindet sich in dem Gebäude ein einzigartiges Albert-Schweitzer-Museum. Die Maison Albert Schweitzer zeigt Fotos, Dokumente und Utensilien, darunter Albert Schweitzers Wiege und medizinische Instrumente aus dem Krankenhaus in Lambarene. In den Ausstellungsräumen werden seine Verbindungen mit Albert Einstein und zahlreichen Großen der Welt dokumentiert, seine Konzerttätigkeit in ganz Europa, sein Einsatz als Urwalddoktor und sein Engagement als Atomwaffengegner. Museumsleiterin Jenny Litzelmann rät außerdem zur Lektüre des Büchleins "Aus meiner Kindheit und Jugendzeit". Unter anderem enthält es Anekdoten aus Schweitzers Jugend im elsässischen Münstertal, dessen ursprüngliche Schönheit auch heute noch einen längeren Aufenthalt lohnend macht.

Hier wurde Teutates verehrt

Doch das Elsass und die Vogesen locken nicht nur mit Museen, sie sind auch eine überaus abwechslungsreiche Wanderregion, die auf einem zertifizierten Fernwanderweg, dem Grande Randonnée 53 bzw. Grande Randonnée 5 (GR 53–GR 5), durchquert werden kann. Ein Weg, der über bewaldete Hügel und offene Kammstrecken ebenso führt wie zu Tempeln und Pilgerstätten. Einer der populärsten Abschnitte der Fernwanderung ist der Anstieg von Grandfontaine zum Donon. Die abwechslungsreiche Strecke zum auf 1.008 Meter Höhe gelegenen Gipfel führt durch Mischwälder und ist nicht sonderlich anstrengend. Ein eigentümlich geformter Druidenstein links des Weges weckt unser Interesse, wenige Minuten später stoßen wir auf Treppenstufen, die im Ersten Weltkrieg von deutschen Soldaten gebaut wurden – die "Escalier de l’Em-
péreur", so benannt zu Ehren von Kaiser Wilhelm II. Die Kelten verehrten auf dem Gipfel, den wir schon bald erreichen, vermutlich ihren Stammesgott Teutates. Die Römer hingegen, das ist anhand von archäologischen Funden gut dokumentiert, hatten gleich drei Tempel für drei verschiedene Himmelsherrscher aufgebaut: Merkur, Jupiter und Sylvanus.

Ein Ringwall um das Heiligtum der Elsässer

Der Donon ist nicht der einzige heilige Berg des Elsass: Oberhalb des Städtchens Obernai stoßen wir auf den Odilienberg. Er ist das wohl beliebteste elsässische Wallfahrtsziel. In den Gebäuden auf dem Odilienberg befinden sich heute ein charmantes, aber einfaches Ein-Sterne-Hotel, das die frühere Pilgerherberge abgelöst hat, sowie ein Restaurant, mehrere Kapellen und ein kleines Konvent der Schwestern vom Heiligen Kreuz. Die Gebetszeiten der vier Nonnen und die zwei täglichen Messen stehen Hotelgästen offen. Hauptattraktion des Klosters ist ein Steinsarg mit den Gebeinen der Heiligen Odilie. Außergewöhnlich ist die Gestaltung von zwei Kapellen, der Tränen- und der Engelskapelle, die mit Mosaiken und Mosaikbildern dekoriert und von Blau- und Goldtönen geprägt sind.

Im Mischwald nahe der katholischen Pilgerstätte stoßen wir auf ein deutlich älteres architektonisches Relikt, die Heidenmauer. Ein mehr als 2.000 Jahre alter keltischer Ringwall, dessen gewaltige Steinquader mit Holzpfeilen, sogenannten Schwalbenschwänzen, befestigt wurden. Die Römer verstärkten später den Wall, um sich vor angreifenden Germanen zu schützen. Der nördliche Teil der mehr als zehn Kilometer langen Heidenmauer ist besonders gut erhalten. Um dort entlangzuwandern, folgt man aber nicht dem mit einem roten Rechteck markierten GR 53–GR 5, sondern einer Markierung mit gelbem Andreaskreuz.

Durch Weinberge zur Hohkönigsburg

Eine Erfahrung, die wir noch häufiger machen: Der GR 53–GR 5 ist ein gut ausgebauter Fernwanderweg, doch wem es vor allem darum geht, die Landschaft und die Kultur des Elsass kennenzulernen, für den lohnt es sich, die Hauptroute immer wieder zu verlassen und die Umgebung auf anderen Strecken zu erkunden. Auf einem solchen Abschnitt, einer abseits des Fernwanderwegs gelegenen Wanderung zwischen den Weinorten Saint-Hippolyte und Bergheim, begleitet uns Armand Ducornet, ehedem Lehrer und seit Jahren passionierter Wanderer. Mit ihm durchstreifen wir vom Sonnenlicht durchflutete Weingärten und genießen immer wieder Blicke auf die Hohkönigsburg, eine Anfang des letzten Jahrhunderts wiederaufgebaute Kammburg, die in 757 Meter Höhe auf einem Sandsteinfelsen über der Oberrheinischen Tiefebene thront. Am schönsten ist der Blick darauf bei einem Flammkuchen oder einem Stück Münsterkäse und einem Glas elsässischem Wein.

Reise-Informationen
  • Reiseführer: Antje & Gunther Schwab: Elsass. Michael Müller Verlag, 7. Auflage 2021, 21,90 Euro. Gut recherchierter, ausführlicher Reiseführer für das gesamte Elsass.
  • Albert-Schweitzer-Haus: Maison du docteur Albert Schweitzer, 8 Rue de Munster, 68140 Gunsbach (www.schweitzer.org)
  • Wandern in den Vogesen: Der Vogesen-Höhenwanderweg ist ein Fernwanderweg mit einer beschilderten Länge von rund 430 Kilometer, die auf 19 Tagesetappen aufgeteilt werden können. Auf der Strecke sind 14.125 Höhenmeter aufwärts und 13.880 Höhenmeter bergab zu bewältigen. Hier können die einzelnen Etappen heruntergeladen werden.
  • Übernachten und Essen: Hotel Restaurant Mont Sainte Odile,Mont Sainte Odile, F-67530 Ottrott (www.mont-sainte-odile.com)



Autor
Rainer Heubeck

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (9) Seite 74-76